Nick Stone - 02 - Doppeltes Spiel
Anfang fünfzig – oder sah jedenfalls so aus, vor allem wegen ihres zu zwei Dritteln grauen Haars, das sie schulterlang, in der Mitte gescheitelt und mit kurzen Stirnfransen trug. Mit ihrer Frisur gab sie sich offenbar keine große Mühe; wahrscheinlich war ihr das Haar nur lästig, weil sie jeden Tag wertvolle Zeit darauf verwenden musste, es zu kämmen.
Sie trug ein sehr elegantes graues Kostüm, das aussah, als habe es ein Vermögen gekostet; trotzdem war es vermutlich ökonomisch sinnvoll, weil sie es jeden dritten Tag tragen konnte – im Wechsel mit zwei weiteren ebenso teuren
Kostümen, die sie jedes Jahr im Ausverkauf bei Harvey Nichols kaufte. Unter der Kostümjacke trug sie eine
Seidenbluse, deren Kragen als Schal ausgebildet war, der sich 95
zu einer Schleife binden ließ. Vervollständigt wurde dieser elegante, aber praktische Look durch sehr spärliches Make-up; wahrscheinlich dauerte es morgens zu lange, das Zeug aufzutragen, und Elizabeth hatte weiß Gott Wichtigeres zu tun: Sie musste ein Land beschützen.
Ich drehte mich wieder halb zu Lynn um, sodass ich
mühelos von einem zum anderen sehen konnte. Nun entstand eine Pause von etwa einer halben Minute, in der nur das Rascheln der Zeitung des Fahrers zu hören war. Ich sah nach links und stellte fest, dass der Kerl ein Hüne mit
Ringerschultern und einem über den Hemdkragen
hinausquellenden Stiernacken war. Im Rückspiegel konnte ich einen Teil seines Gesichts sehen: ein blasses Gesicht mit slawischem Einschlag, das seine Herkunft verriet: Er war ein Serbe, dem man bestimmt Pässe für seine gesamte Familie versprochen hatte, wenn er im Bosnienkrieg für uns spionierte.
Dieser Kerl würde jetzt treuer zu England halten als die meisten Briten, mich eingeschlossen.
Wir saßen noch immer einfach da; Elizabeth sah mich an, ich sah sie an. Los, dachte ich, raus mit der Sprache! Ich hatte immer das Gefühl, sie spielten mit mir.
Endlich eröffnete Lynn das Gespräch. »Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, Nick. Wie geht’s Ihnen so?«
Als ob ihn das interessiert hätte. »Danke, ich kann nicht klagen. Wie lange soll dieser Einsatz dauern?«
»Das hängt davon ab, wie schnell Sie unseren Auftrag ausführen. Am besten hören Sie sich erst mal an, was Elizabeth zu sagen hat.«
Darauf hatte Elizabeth nur gewartet; sie war so gut
vorbereitet, dass sie keine Notizen brauchte. Sie nahm mich ins 96
Visier und sagte: »Sarah Greenwood.« Das war mehr eine Frage als eine Feststellung, und ihre Augen verengten sich leicht dabei, als erwarte sie eine Antwort.
Meine Reaktion auf die Nennung dieses Namens
überraschte mich selbst. Ich kam mir vor, als hätte ich soeben erfahren, dass ich an einer tödlichen Krankheit litt. Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. War sie tot? Hatte sie Mist gebaut? Hatte sie mich in etwas hineingezogen? War sie entführt worden? Aber ich wollte diesen Leuten nicht mehr offenbaren, als ich unbedingt musste; ich versuchte, gelassen und unbesorgt zu wirken, obwohl ich am liebsten gefragt hätte:
»Ihr fehlt doch nichts?«
»Sie kennen sie, nicht wahr?«, fügte Elizabeth hinzu.
»Natürlich kenne ich sie – zumindest unter diesem Namen.«
Ich erwähnte nicht, woher ich ihren Namen kannte und wo wir schon zusammen gearbeitet hatten. Da ich nicht wusste, wie viel Elizabeth wusste, gab ich nichts freiwillig preis, was immer die beste Taktik ist. Meiner Erfahrung nach bekommt man umso weniger Probleme, je verschwiegener man ist. Es ist gut, zwei Ohren zu haben, aber noch besser, nur einen Mund zu haben.
»Nun, sie scheint verschwunden zu sein – und das aus eigenem Entschluss.«
Ich zog die Augenbrauen hoch und wartete auf eine
Erklärung, aber Elizabeth sprach nicht weiter. Ich wusste nicht recht, worauf sie hinauswollte, aber sie sah mich an, als müsste ich das wissen.
Lynn sah das Problem. »Ich will’s Ihnen erklären, Nick.«
Als ich zu ihm hinübersah, ertappte ich ihn gerade noch beim Blickkontakt mit Elizabeth. Er hatte hier den
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Friedensstifter zu spielen.
»Sarah Greenwood ist vor zwei Jahren nach Washington versetzt worden«, sagte er. »Aber das wissen Sie wohl?«
Natürlich wusste ich das. Ich versuchte immer,
Informationen darüber zu bekommen, wo sie gerade war und wie es ihr ging – auch wenn ich mir nicht einbildete, das Interesse sei gegenseitig. Ich hatte eigentlich gehofft, sie würde auftauchen, während ich zu dem letztjährigen Fiasko in Washington befragt wurde, aber sie hatte
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