Nick Stone - 02 - Doppeltes Spiel
einbrachte. Ich wusste, dass das alles ein schwacher Trost sein würde, aber es erleichterte mich etwas.
Wir gingen zum Costa Coffee Shop zurück und setzten uns auf Hocker, von denen aus wir den Eingangsbereich des Terminals überblicken konnten. Kelly trank Orangenlimonade, ich bekam einen miserablen Kaffee, und wir aßen Sandwiches, während wir beobachteten, wie Pauschalreisende noch eine Kleinigkeit zu sich nahmen, zu ihren Flugzeugen hasteten und oft in einer Stunde mehr Geld ausgaben, als sie im Urlaub pro Tag ausgeben würden.
»Nick, weißt du, wie lange es dauert, bevor ein Elefant geboren wird?«, fragte Kelly.
»Keine Ahnung.« Ich hörte nicht wirklich zu; ich war zu sehr damit beschäftigt, nach Carmen und Jimmy Ausschau zu halten, und musste mich beherrschen, um nicht schon wieder auf die Uhr zu sehen.
»Fast zwei Jahre.«
»Oh, das ist interessant«, behauptete ich.
»Okay, weißt du, wie viele Menschen 1960 auf der Welt gelebt haben?«
»Hundert Millionen?«
»Nick!«, sagte Kelly vorwurfsvoll. »Drei Milliarden. Und demnächst sind’s sechs Milliarden.«
Ich sah zu ihr hinüber. »Hey, für eine Neunjährige bist du ganz schön …«
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Dann merkte ich, was sie machte: Sie las die Informationen von Würfelzuckerpapieren ab. »Das ist Betrug!«
Endlich ein Lächeln. Aber es wirkte rasch künstlich, als sie mit zusammengebissenen Zähne sagte: »Sieh nur, da kommen Granny und Grandad.«
»Los, lauf hin und begrüß sie!«
Kelly murmelte etwas vor sich hin, stand aber gehorsam auf und lief ihnen entgegen. Auf den Gesichtern der beiden mischte sich Erleichterung, dass sie uns gefunden hatten, mit Befriedigung darüber, sich an diesen gefährlichen unbekannten Ort gewagt zu haben. Kelly umarmte ihre Großeltern; sie liebte die beiden, aber sie waren eben keine Leute, mit denen man einen ganzen Tag verbringen wollte – von einem zusätzlichen Wochenende ganz zu schweigen. Das Problem bei ihnen war, dass sie nichts taten: Sie machten keine Ausflüge oder gingen wenigstens mit ihr in den Park; sie saßen einfach da und erwarteten, dass Kelly Bilder malte und wie sie unzählige Tassen Tee trank.
Jimmy trug zu einer beigen Flanellhose eine beige
Windjacke. Carmens Sachen stammten aus einem Katalog, von dessen Umschlag vermutlich Judith Chalmers lächelte. Jimmys Gesicht wirkte so glatt und formlos, als sei es in einem Windtunnel entworfen worden. Kevin musste sein schwarzes Haar und sein gutes Aussehen von seiner Mutter geerbt haben, die noch immer attraktiv war – auch wenn ihr kein Mensch abnahm, dass sie in ihrem Alter noch rabenschwarzes Haar hatte.
Die beiden waren mit Kelly beschäftigt und fragten sie aus, was sie alles gemacht habe, während sie zu dritt auf mich zukamen. Ich sprach sie zuerst an. »Jim, Carmen, wie geht’s 88
euch beiden?« Und bevor sie mir beschreiben konnten, auf welcher Route sie zum Flughafen gekommen und wie die Verkehrsverhältnisse gewesen waren, kam ich bereits zur Sache. »Tut mir Leid, dass ich euch so überfallen musste, aber ich hab’s wirklich eilig. Wisst ihr bestimmt, dass ihr übers Wochenende mit ihr zurechtkommt?«
Die beiden strahlten. Für sie war das wieder einmal wie Weihnachten, nur hatten wir uns letztes Mal in Heathrow getroffen, wo sie Kelly vier Tage früher als vereinbart abgeholt hatten. Sie verstanden nicht, warum ein so unsteter Mensch zu ihrem Vormund ernannt worden war; sie kannten mich kaum, aber ich war ihrer Überzeugung nach für dieses Amt
ungeeignet. Vermutlich hielten sie mich für einen ehemaligen Geliebten von Kellys Mutter. Marsha hatten sie ohnehin nie leiden können. Machten sie einmal nicht mich für den Mord an Kevin verantwortlich, gaben sie die Schuld dafür vermutlich ihrer Schwiegertochter, ohne dass die Arme sich dagegen wehren konnte.
Carmen war damit beschäftigt, den obersten Knopf von Kellys T-Shirt zu schließen und das Hemd in ihre Jeans zu stopfen. Man konnte nie vorsichtig genug sein … Flughäfen sind so was von zugig!
Ich sorgte dafür, dass sie sahen, dass ich einen raschen Blick auf meine Uhr warf. Ich hatte reichlich Zeit, aber das bedeutete keineswegs, dass ich sie mit den beiden verbringen wollte.
»Sorry, Leute, ich hab’s wirklich eilig. Kelly, wie wär’s mit einem Kuss und einer Umarmung zum Abschied?«
Sie schlang ihre Arme um mich, und ich bückte mich, damit sie mir einen Kuss auf die Wange geben konnte. Carmen hasste das, weil Kelly sie nicht mit solchen Beweisen ihrer
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