Nick Stone - 02 - Doppeltes Spiel
kennen gelernt hatte. Er war etwas jünger als ich und hatte denselben Vornamen, was immer günstig ist, weil es einem hilft, auf eine neue Identität zu reagieren. Noch wichtiger war jedoch, dass Nick und Davidson sehr häufige Namen sind.
Ich fand ihn in Sydney in einer Schwulenbar. Weltweit ist das im Allgemeinen der beste Ort für das, was ich brauchte.
Nicholas, das bekam ich bald heraus, lebte und arbeitete seit sechs Jahren in Australien; er hatte hier einen guten Job hinter der Bar, gemeinsam mit seinem Partner ein Haus und vor allem nicht die Absicht, jemals nach England zurückzukehren.
»Sieh dir das Wetter an«, sagte er, indem er aus dem Fenster deutete. »Sieh dir die Leute an. Sieh dir ihre Lebensart an.
Wozu sollte ich zurückgehen wollen?« In den drei Wochen, 120
die ich in Sydney verbrachte, lernte ich ihn besser kennen, indem ich während seiner Schicht häufig in der Bar aufkreuzte und mit ihm schwatzte. Ich lernte dort auch andere Schwule kennen, aber sie hatten nicht das, was Nicholas hatte. Er war mein Mann.
Nach meiner Rückkehr nach England richtete ich unter seinem Namen eine Deckadresse ein. Dann ging ich ins Rathaus, ließ Nicholas unter dieser Adresse ins
Wählerverzeichnis aufnehmen, meldete seinen Führerschein als verloren und beantragte einen Ersatzführerschein. Drei Wochen später hielt ich das neue Dokument in Händen.
In dieser Zeit besuchte ich auch das Geburts- und
Sterberegister im St. Catherine’s House in London und ließ mir eine Kopie seiner Geburtsurkunde machen. Nicholas hatte nicht gern über seine Vergangenheit gesprochen, und ich hatte nur herausbekommen können, wann er Geburtstag hatte und wo er geboren war. Weiteres Nachbohren hätte Verdacht erregt, und sein Partner Brian war ohnehin schon sauer, weil ich mich so auffällig für Nicholas zu interessieren schien. Ich brauchte einige Stunden, um die Eintragungen für 1960 und 1961 durchzusehen, aber dann hatte ich ihn gefunden.
Ich ging zur Polizei und zeigte an, mein Reisepass sei gestohlen worden. Das Aktenzeichen, unter dem meine
Anzeige bearbeitet wurde, gab ich auf dem Antrag zur Ausstellung eines Ersatzpasses an. Das und die beigelegte Geburtsurkunde genügten: Nick Davidson II. war bald stolzer Besitzer eines druckfrischen Reisepasses, der zehn Jahre lang gelten würde.
Aber das reichte noch nicht. Zu einer wirklich authentischen Identität gehören auch Kreditkarten. In den folgenden Monaten 121
trat ich mehreren Buchklubs bei; ich kaufte sogar eine scheußliche Figur aus Worcester-Porzellan, für die in der Sonntagsbeilage meiner Zeitung geworben wurde, und
bezahlte sie per Postanweisung. Das brachte mir Rechnungen und Quittungen ein, die alle an die Deckadresse gingen.
Als Nächstes eröffnete ich mit einigen hundert Pfund ein Bankkonto, richtete Daueraufträge für die Buchklubs ein und ließ es einige Monate lang ruhen. Dann konnte ich endlich eine Kreditkarte beantragen. So lange man im Wählerverzeichnis steht, ein Bankkonto hat und nicht als Kreditrisiko gilt, gehört einem die Karte. Und sobald man eine hat, werden einem die aller übrigen Banken förmlich aufgedrängt. Zum Glück schien Nick I. bei seiner Abreise keine unbezahlten Rechnungen hinterlassen zu haben – sonst hätte ich wieder von vorn anfangen müssen.
Ich überlegte, ob ich einen Schritt weiter gehen und eine Nummer bei der Nationalversicherung beantragen sollte, aber das war eigentlich nicht der Mühe wert. Ich hatte Geld, einen Reisepass und Kreditkarten; das musste genügen. Außerdem kann man einfach zum Arbeitsamt gehen und angeben, man fange am kommenden Montag an zu arbeiten. Dann bekommt man auf der Stelle eine vorläufige Nummer, die man jahrelang verwenden kann. Sollte das nicht funktionieren, kann man einfach eine erfinden; das System ist so ineffizient, dass es endlos lange braucht, um Betrügereien zu entdecken.
Sobald ich den Reisepass und die Kreditkarten hatte, machte ich eine Kurzreise, um mich davon zu überzeugen, dass alles funktionierte. Danach benutzte ich sie regelmäßig, damit der Pass ein paar Ein- und Ausreisestempel erhielt und die Kreditkarten nicht wegen Nichtbenutzung verfielen.
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Genau wie ich es an ihrer Stelle getan hätte, würde Sarah ihr gesamtes bisheriges Leben hinter sich lassen. Sie würde sich weder bei Angehörigen noch Freunden melden; sie würde auf all die kleinen Dinge, all die kleinen Exzentrizitäten verzichten, die ihr Leben geprägt hatten und sie jetzt verraten
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