Nick Stone - 02 - Doppeltes Spiel
und Vaterland. In ihrem Haus hatte ich sogar ein eigenes Zimmer –
sie nannten es »Nicks Zimmer« – unter dem Dach. Lebte man ausweislich seiner Papiere bei ihnen, musste man auch ein Zimmer haben, nicht wahr?
Das waren die Leute, die meine Legende, zu der sie selbst gehörten, bestätigen würden. Ich besuchte sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit, vor allem vor Einsätzen, und dadurch wurde meine Legende immer überzeugender. Die beiden
wussten nichts über meine Arbeit und wollten auch nichts davon wissen; wir sprachen nur über das Programm im
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Dorfklub und über Mittel gegen Blattlausbefall bei Rosen.
James war nicht der beste Gärtner der Welt, aber solche Details machen eine Legende glaubwürdiger. Bei jedem Besuch kaufte ich in einigen Läden mit meinen Kreditkarten ein, nahm etwa eingegangene Post mit und fuhr wieder. Das war lästig, aber Details waren nun einmal wichtig.
»Hallo, James, hier ist Nick. Ich wollte euch nur sagen, dass ich meinen Plan geändert habe. Ich fliege jetzt nach Amerika in Urlaub.«
»Weißt du schon, für wie lange?«
»Für ein paar Wochen, denke ich.«
»Schön, dann erhol dich gut, Nick. Aber sieh dich vor –
Amerika ist ein gefährliches Land.«
»Ich tue mein Bestes. Wir sehen uns, wenn ich wieder da bin. Sag Rosemary einen schönen Gruß von mir.«
»Wird gemacht. Also bis bald. Und noch was, Nick …«
»Ja?«
»Nachwahlen für den Gemeinderat. Ein Liberaldemokrat hat gewonnen.«
»Okay. Name?«
»Felix Cameron. Er hat angekündigt, die Planung für den neuen Supermarkt zu blockieren.«
»Aha. Wird er sie blockieren?«
»Red keinen Unsinn. Und weil wir eben bei Blockaden sind
– die Verstopfung unserer Klärgrube ist seit gestern beseitigt.«
»Okay, macht’s gut. Ich bin froh, dass dein Problem mit der Scheiße behoben ist, denn ich stecke hier bis zum Hals drin.«
Wir lachten beide noch, als ich die rote Taste drückte und wieder die Geschäftsleute beobachtete, die um mich herum über ihre Laptops gebeugt dasaßen.
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Ich konnte nichts anderes tun, als ungeduldig zu warten, bis meine Maschine aufgerufen wurde, und merkte, dass mein Kopf sich allmählich mit Sarah füllte. Ich wollte diesen Job nicht. Sie hatte mich verdammt schäbig behandelt, aber ich hatte noch immer Sehnsucht nach ihr. Falls stimmte, was ich heute über sie gehört hatte, musste sie unbedingt gestoppt werden, das sah ich ein; ich wollte nur nicht der sein, der diesen Befehl ausführte.
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Ich machte es mir in meinem Sessel in der Business Class bequem und hörte erst das Lachen und Kreischen der von überschüssigen Hormonen pickeligen Jungen und Mädchen des Schülerorchesters zwanzig Reihen hinter mir und dann über die Lautsprecher eine sehr angenehm klingende
Westküstenstimme, die uns versicherte, wie sehr das Cockpit-und Kabinenpersonal sich freue, uns heute an Bord zu haben.
Wir bekamen Getränke und zarte Hühnchenbrust im
Teigmantel serviert. Als ich dann satt und nicht mehr durstig war, schloss ich die Augen und begann ernstlich darüber nachzudenken, wie ich Sarah finden sollte.
Selbst in Großbritannien werden jährlich eine Viertelmillion Menschen als vermisst gemeldet, von denen über 16000
verschwunden bleiben – nicht etwa, weil sie entführt oder ermordet wurden, sondern aus eigenem Entschluss. Fängt man es richtig an, ist es sehr leicht, spurlos unterzutauchen. Sarah verstand sich darauf; das gehörte zu ihrem Beruf. Einen Vermissten in Großbritannien aufzuspüren war schwierig 119
genug, aber die schiere Größe der Vereinigten Staaten und die Tatsache, dass ich dort niemanden um Hilfe bitten durfte, bedeuteten, dass ich eine Nadel in einem Heuhaufen suchen musste – auf einem Feld voller Heuhaufen, in einem Land voller Felder.
Unabhängig vom Motiv für ihr Verschwinden würde Sarah wie die meisten Leute in unserer Branche für Krisen
vorgesorgt haben. Dazu gehörte auch eine andere Identität. Ich besaß sogar zwei – für den Fall, dass eine davon entdeckt wurde. Jeder hatte sein eigene Methode, sich eine andere Identität zuzulegen und sie vor allem vor der Firma geheim zu halten. Musste man jemals vor ihr flüchten, brauchte man einen Vorsprung, und falls Sarah sich bewusst abgesetzt hatte, würde sie ihr Verschwinden sorgfältig geplant haben. Sie war kein Mensch, der sich mit halben Sachen zufrieden gab.
Aber das war ich auch nicht. Ich dachte an meinen neuen Kumpel Nicholas Davidson, den ich letztes Jahr in Australien
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