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Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren

Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren

Titel: Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy McNab
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1,5 Millionen Menschen entsprach ungefähr der Einwohnerzahl von Genf, und wenn es über dieses Land nichts Vorteilhafteres zu sagen gab, musste es ziemlich geisttötend sein.
    Als Bürger einer Sowjetrepublik schienen die Esten ein verdammt hartes Leben geführt zu haben. Sie hatten Lebensmittelkarten, Brotschlangen, Benzinknappheit und eine Inflationsrate erlebt, die höher war als das Empire State Building. Insgesamt waren das ziemlich deprimierende Bedingungen - wie in einer gigantischen slawischen Version einer Mietskaserne in South London.
    Auf den Fotos der Altstadt von Tallinn waren mittelalterliche Wälle, Zinnen, Türmchen und nadelspitze Türme zu sehen. Ich konnte es kaum erwarten, die »giebelige Dächer« zu sehen, die der Reiseführer anpries. Als ich weiterlas, entdeckte ich, dass die weitaus meisten Investitionen des Landes in dieses winzige Gebiet gegangen waren und die Mehrheit der Bevölkerung seit dem Abzug der Russen Anfang der neunziger Jahre kein Gas und Wasser mehr hatte. Aber andererseits würden Touristen sich nicht so weit aufs Land hinauswagen, nicht wahr?
    Ich hockte da, hielt die Augen geschlossen und langweilte mich schrecklich. Mit den Finnen konnte ich mich unmöglich unterhalten. Drüben in Estland wartete Arbeit auf mich, und nach allem, was ich sah, traute ich mir nicht zu, mit ihrer Trinkerei Schritt zu halten - vor allem nicht mit den drei Frauen.
    Ich sank so tief zusammen wie nur möglich, um dem Zigarettenqualm zu entgehen, der jetzt als geschlossene Nebeldecke über mir hing. Die Fähre schlingerte heftiger als zuvor, und ihre Schrauben röhrten gelegentlich auf, als seien sie aus dem Wasser herausgekommen, was die Säufer an der Bar mit dem kollektiven Aufschrei »Woaaah!« wie in der Geisterbahn quittierten. Vor den Fenstern war es finster, aber ich wusste, dass es dort draußen reichlich Treibeis gab.
    Ich verschränkte die Arme vor der Brust, ließ mein Kinn herabsinken und versuchte zu schlafen. Das würde natürlich nicht klappen, aber es war immer ratsam, eine Flaute dazu zu nutzen, die Akkus aufzuladen.
    Eine Durchsage aus den Deckenlautsprechern weckte mich sozusagen auf, obwohl ich nicht wusste, ob ich wirklich geschlafen hatte. Ich vermutete, die Lautsprecherstimme preise die fantastischen Sonderangebote der Duty-free-Shops an Bord an, als ich das Wort Tallinn hörte. Die Durchsage wurde in mehreren Sprachen wiederholt, und als Englisch an der Reihe war, hörte ich, dass wir in etwa einer halben Stunde Tallinn erreichen würden.
    Ich steckte den Reiseführer und meine neue Wollmütze in den Rucksack, der meinen Waschbeutel enthielt, und schlenderte den Korridor entlang nach achtern. Wegen des Seegangs schwankten alle Entgegenkommenden wie betrunken, und auch ich musste mich mehrmals mit einer Hand von der Korridorwand abstützen, um nicht zu fallen. Ich folgte den Hinweisschildern zu den Toiletten, öffnete eine dunkel furnierte Schiebetür und stieg einen Niedergang hinunter.
    Auf der Herrentoilette schwatzten ein paar Kerle miteinander, zogen ihre Reißverschlüsse hoch und zündeten sich Zigaretten an, bevor sie hinausgingen. Auf dem Boden schwamm fast so viel Alkohol wie auf dem Fußboden der Bar; der einzige Unterschied war, dass er zuvor durch menschliche Nieren gegangen war. Der Raum war völlig überheizt, was den Gestank noch schlimmer machte.
    Ich trat vorsichtig auf die Urinale zu. In allen schwappte eine dunkelgelbe Flüssigkeit, die langsam an den Zigarettenkippen vorbeisickerte, die den Abfluss blockierten. Ich fand ein Becken, das nicht schon übervoll war, stützte mich mit der linken Hand an der Stahlwand darüber ab, zog meinen Reißverschluss auf und horchte auf das unablässige Dröhnen der Schiffsmaschinen.
    Hinter mir wurde die Toilettentür aufgestoßen, dann kamen zwei junge Männer herein, die ich wegen ihrer GoreTex-Jacken für Finnen hielt. Ich versuchte eben, meinen Reißverschluss mit einer Hand hochzuziehen, während ich mich mit der anderen von der Wand abstützte, um nicht hinzufallen. Der Kerl in Schwarz steuerte auf die freien WC-Kabinen hinter mir zu, während der andere bei den Handwaschbecken links neben mir stehen blieb. Seine grüne Jacke spiegelte sich in den Edelstahlrohren, die von dem Wasserbehälter über mir zu den Urinalen führten. Ich konnte nicht genau erkennen, was er machte, weil die Rohre sein Bild wie ein Zerrspiegel verzerrten, aber irgendwie wirkte es verdächtig. Im nächsten Augenblick hörte ich GoreTex

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