Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
dunkel getönten Scheiben konnte ich nur die Fahrerin erkennen.
Sie sah völlig anders aus als bei unserem letzten Treffen. In London hätte sie eine reiche Italienerin sein können; jetzt trug sie einen dicken grauen Norwegerpullover mit bizarren, wundervollen Mustern, dessen Rollkragen ihr bis unters Kinn reichte. Eine tibetanische Mütze mit Ohrenklappen bedeckte den größten Teil ihres Kopfs und ließ nur wenige blonde Haarsträhnen sehen.
Als das Fahrerfenster nach unten glitt, wurde ich mit einem durchaus freundlichen, aber geschäftsmäßigen Lächeln begrüßt. »Bitte steigen Sie rasch hinten ein.« Sie fragte Bürste etwas auf Finnisch, und er schüttelte den Kopf, während wir mit unseren Reisetaschen hinten einstiegen. Im Auto war es kalt; Liv musste bei abgestelltem Motor und ohne Heizung auf uns gewartet haben.
»Bitte machen Sie sich auf Ihren Sitzen klein und halten Sie sich von den Fenstern fern.«
Tom sah zu mir hinüber, als hoffe er auf eine
Erklärung. Ich zuckte mit den Schultern. »Später, Kumpel.«
Als ich wieder nach vorn blickte, sah ich, dass Liv mich im Rückspiegel beobachtete. Sie lächelte mir zu. »Willkommen in Finnland.«
Dann drehte sie sich nach Tom um. »Mein Name ist Liv. Ich freue mich sehr, Sie kennen zu lernen.«
Tom nickte sichtlich verlegen. Sie schüchterte ihn offenbar ebenso ein wie mich. Als Liv wieder nach vorn sah, betrachtete er rasch sein Spiegelbild in der getönten Seitenscheibe und wünschte sich vermutlich, er hätte sich rasiert.
Wir fuhren aus der Tiefgarage auf die Straße hinaus und bogen rechts ab. Der Markt wirkte jetzt noch heller beleuchtet als zuvor; es war schon ziemlich dunkel.
»Uns bleibt nicht mehr viel Zeit«, sagte Liv. »Seit unserem letzten Gespräch haben die Ereignisse sich beschleunigt. Sie müssen den Auftrag am kommenden Dienstag ausführen.«
Wieder eine ihrer kleinen Komplikationen. Ich glaubte ihr kein Wort; bestimmt hatte Val von Anfang an auf diesem Termin bestanden, aber statt mir das zu sagen, hatte Liv mich darüber im Unklaren gelassen, weil sie fürchtete, es könnte mich vergrämen.
»Ich muss vor allem das Zielobjekt sehen«, stellte ich fest. »Zwei Nächte sind keine sehr lange Vorbereitungszeit. Sie müssen mir heute Abend alles erzählen, was Sie wissen, und morgen erkunde ich das Gebäude.«
»Ja, natürlich. Ich mache mir auch Sorgen, ob Tom genug Zeit bleibt, den Firewall zu durchbrechen und sich Zugang zu dem System zu verschaffen.«
Tom setzte sich wie ein gut erzogenes Kind auf, das einem Erwachsenen zu gefallen sucht. »Keine Angst, das kriege ich schon hin. Zeigen Sie mir einfach, was Sie haben.«
»Wird gemacht, Tom. Sehr bald.«
Danach folgte eine längere Pause, während Tom sich langsam zurücksinken ließ.
Ich sah auf die Straße hinaus. »Wohin fahren wir jetzt?«
»Wir haben es nicht weit, nur bis zu den Seen.«
Mit diesem Hinweis war wenig anzufangen. Das ganze Land war mit den Dingern bedeckt.
Eine schwarz-gelbe Stadtsilhouette aus Leuchtstoffröhren mit einem roten Schrägbalken zeigte mir, dass wir Lahti verließen. Wir fuhren auf einer gut ausgebauten zweispurigen Straße weiter, an der anfangs noch Häuser mit in der Nacht leuchtenden Weihnachtsdekorationen standen, die dann Wäldern und weiteren Einschnitten zwischen Granitfelsen Platz machten. Auf dem nächsten Wegweiser las ich Mikkeli 106 km. Wir schienen weiter nach Norden zu fahren.
Ich behielt den Kilometerzähler im Auge, während wir an einer Reihe von Briefkästen aus Plastik-Treteimern auf Pfosten vorbeikamen, die alle säuberlich aufgereiht an der Straße standen und das einzige Anzeichen dafür waren, dass irgendwo tief in diesen Wäldern Menschen lebten.
Die niedrige Bewölkung und der bis an die Straße he- ranreichende Wald ließen die Umgebung noch dunkler wirken, aber der reinweiße Schnee reflektierte das Scheinwerferlicht und verdoppelte seine Wirkung beinahe.
In dem Geländewagen herrschte bald behagliche Wärme, und Tom hatte seine Ohrhörer wieder eingesteckt und hielt die Augen geschlossen. Ich merkte, dass ich krampfhaft überlegte, worüber ich mit Liv reden könnte, aber belanglose Konversation war nicht ihr Fall.
Sie sah viel häufiger in ihre Rückspiegel, als bei dem herrschenden schwachen Verkehr notwendig gewesen wäre; sie achtete darauf, ob wir etwa verfolgt wurden. Deshalb hatte sie uns in der Tiefgarage abgeholt und war sofort auf die Straße hinausgefahren, bevor jemand eine Verbindung
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