Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
aufgegessen hatte, bevor sie fragte: »Nick, was wissen Sie über das Geheimdienstabkommen zwischen Großbritannien und den USA?«
Ein Blitzlicht flammte auf, als die Touristen mit ihren Teegläsern und den großen Stücken Schokoladetorte posierten. Ich trank einen Schluck Tee. Dieses
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Abkommen, dem später auch Kanada, Australien und
Neuseeland beigetreten waren, kannte ich in großen Zügen. Es war Ende der vierziger Jahre zwischen
Großbritannien und den USA geschlossen worden und sah im Prinzip den Austausch von Informationen über gemeinsame Feinde vor. Darüber hinaus setzten die Vertragsstaaten ihre Geheimdienste auch ein, um in den Mitgliedstaaten zu spionieren: insbesondere bespitzelten die Briten amerikanische Staatsbürger in den USA, während die Amerikaner britische Staatsbürger in
Großbritannien bespitzelten – und dann tauschten sie ihre Erkenntnisse aus. Formaljuristisch war das nicht illegal, sondern nur eine raffinierte Methode, die Bürgerrechte der Betroffenen auszuhebeln.
Livs Blick folgte drei ältlichen Amerikanerinnen in mehrfarbigen Daunenjacken, die sich an unserem Tisch vorbeiquetschten. Die drei waren nicht nur mit
Teetabletts, sondern auch mit eleganten
Papiertragetaschen mit finnischer Volkskunst beladen.
Sie schienen sich nicht entscheiden zu können, wo sie sitzen wollten.
Sie sah wieder zu mir hinüber. »Nick, die drei Männer, die Sie letzte Nacht in dem Haus gesehen haben, waren Finnen. Sie waren dabei, die Technologie eines
Verfahrens namens Echelon zu entschlüsseln, das
praktisch das Herzstück des Geheimdienstabkommens ist.«
»Soll das heißen, dass Sie Tom und mich losgeschickt haben, damit wir für die russische Mafia
Staatsgeheimnisse beschaffen?«
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Liv betrachtete gelassen die Gäste an den
Nachbartischen und trank noch einen Schluck Tee. Sie schüttelte den Kopf. »Durchaus nicht, Nick. Aus
Gründen, die Sie sicher verstehen, konnte ich Ihnen nicht gleich alles erklären, aber Valentin will geschäftliche Informationen, sonst nichts. Glauben Sie mir, Nick, wir versuchen nicht, Staats- oder Militärgeheimnisse zu stehlen. Sie haben im Gegenteil dazu beigetragen, andere daran zu hindern, genau das zu tun.«
»Wieso hat die NSA sich dann eingemischt?«
»Die Amerikaner wollten bloß ihr Spielzeug
zurückhaben. Glauben Sie mir, Valentin hat kein
Interesse an den Militärgeheimnissen des Westens. Die könnte er sich jederzeit beschaffen; das ist nicht weiter schwierig, wie ich Ihnen in Kürze demonstrieren werde.«
Liv sah zu den Amerikanerinnen hinüber, um sich zu vergewissern, dass sie nicht zuhörten, danach wandte sie sich wieder an mich. »Was wissen Sie über Echelon?«
Ich wusste, dass Echelon ein vom GCHQ betriebenes elektronisches Abhörsystem war, das Nachrichten abfing und dann nach Informationen absuchte – ein bisschen wie eine Internet-Suchmaschine. Ich zuckte jedoch mit den Schultern, als wüsste ich gar nichts darüber; mich interessierte mehr, was sie darüber zu sagen hatte.
Ihre Stimme klang, als lese sie aus der Echelon-Ver-kaufsbroschüre vor. »Dabei handelt es sich um ein globales Computernetzwerk, das von allen fünf
Vertragsstaaten des angloamerikanischen
Geheimdienstabkommens betrieben wird. Echelon
durchsucht in jeder Sekunde jeden Tages Millionen von 394
abgefangenen Faxen, E-Mails und Handygesprächen
nach vorprogrammierten Schlüsselwörtern und -zahlen.
Als Vorsichtsmaßnahme haben wir innerhalb unserer Organisation bestimmte Wörter am Telefon buchstabiert, aber selbst dieses Verfahren ist durch Spracherkennung obsolet geworden. Tatsache ist, Nick, dass weltweit alle elektronisch verschickten Nachrichten routinemäßig von Echelon abgefangen und analysiert werden.
Die Prozessoren des Netzwerks sind als die Echelon-Lexika bekannt. Jede Echelon-Station, von denen es in der Welt verteilt mindestens ein Dutzend gibt, enthält nicht nur das spezifische Lexikon der Betreibernation, sondern auch die Listen der übrigen vier Staaten des angloamerikanischen Abkommens. Echelon verknüpft
diese Lexika miteinander, so dass sämtliche
Abhörstationen als ein integriertes System
zusammenarbeiten können.
Echelon hat dem Westen über viele Jahre hinweg
geholfen, internationale Verträge und Verhandlungen zu seinen Gunsten zu beeinflussen, weil er Informationen besaß, die von Boris Jelzins Gesundheitszustand bis zum Tiefstpreis von Handelspartnern gingen. Das sind
wertvolle Informationen, Nick. Weshalb
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