Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
eher länger. Die Geschichte meines Lebens.
Ich trank einen kleinen Schluck Kaffee, während ich die langen Wörter in einer finnischen Zeitung betrachtete und dabei die Rolltreppe im Auge behielt. Obwohl ich mit meinem auf den Namen Davidson ausgestellten Pass nach Estland einreisen würde, hatte ich das Fährticket als 411
Mr. Davies gekauft. Leicht veränderte Namen sind
immer nützlich, weil sie Verwirrung hervorrufen. Sprach mich jemand darauf an, würde ich behaupten, die junge Frau habe meinen Namen falsch verstanden. Schließlich war Englisch nur ihre Zweitsprache, und wenn ich mir Mühe gab, konnte mein Cockneyakzent fast
unverständlich sein. Diese Methode war nicht
narrensicher, aber sie würde dazu beitragen, meine Spur zu verwischen.
Die Firma fahndete bestimmt weiter nach Davidson, weil er jetzt mit Liv und Tom in Verbindung gebracht wurde. Mir war egal, wie viel sie unterdessen wusste, solange kein Fahndungsfoto von mir existierte, und das Foto in Davidsons Reisepass sah mir zum Glück nicht sehr ähnlich. Der Schnauzer, die rechteckige Brille und etwas Schminke, um die Linien von Nase und Kinn zu verändern, waren recht wirkungsvoll. Würde ich darauf angesprochen, würde ich behaupten, der Schnauzbart habe mir nicht mehr gefallen, und ich trüge jetzt statt meiner Brille Kontaktlinsen.
Schminken hatte ich bei der BBC gelernt. Plastiknasen und künstliche Augenbrauen sind weniger wichtig, als die meisten Leute glauben. Während ich ein Stück
Gebäck in meinen Kaffee tunkte, musste ich
unwillkürlich grinsen, als ich mich daran erinnerte, wie ich mich zum Abschluss des zweiwöchigen Kurses vier Stunden lang als Frau hergerichtet hatte; ich war der Überzeugung gewesen, der von mir gewählte Lippenstift stehe mir besonders gut. Es war amüsant gewesen, mit meinem Lehrer Peter, der als meine »Freundin« ein 412
elegantes blaues Kostüm trug, einen Tag lang einkaufen zu gehen, wobei wir natürlich auch Damentoiletten hatten benutzen müssen. Aber die Enthaarung von Beinen und Händen mit Flüssigwachs war unangenehm gewesen. Die behandelten Flächen hatten noch wochenlang gejuckt.
Irgendwo hinter meiner linken Schulter erklang die elektronisch verfremdete Ouvertüre zu Wilhelm Tell , dann folgte eine kurze Pause, bevor eine ältere Dame auf Finnisch loslegte. Hierzulande hatte jeder ein Handy –
ich hatte schon kleine Kinder gesehen, die an der Hand ihrer Eltern in ihr Handy plapperten –, aber niemand gab sich mit dem Standardklingeln zufrieden. In Helsinki konnte man keine fünf Minuten unterwegs sein, ohne The Flight of The Bumble Bee , ein paar Takte Sibelius oder das James-Bond-Thema zu hören.
Ich saß da, tunkte ein und wartete. Die Pässe steckten unbequem unter meinem Fuß im rechten Stiefel; im
linken hatte ich 1500 Dollar in Hundertern, Zwanzigern und Zehnern.
Was Mr. Nick Stone betraf, war er sicher und warm in einer Reisetasche in der Gepäckaufbewahrung auf dem Hauptbahnhof verstaut. Die P7 und das Reservegehäuse hatte ich noch bei mir; sie würden erst in letzter Minute in die Reisetasche wandern. Nach Estland konnte ich keine Waffe mitnehmen. Ich hatte keine Ahnung, wie streng die Sicherheitskontrollen an den Fährhäfen sein würden.
Livs Kopf erschien zuerst, als die Rolltreppe sie zu mir herauftrug. Sie sah sich beiläufig um, ohne speziell nach mir Ausschau zu halten. Dann erschien nach und nach 413
der Rest ihres Körpers. Sie trug ihren wadenlangen schwarzen Ledermantel mit Gürtel über Jeans und
Timberland-Stiefeln, hatte eine große schwarze
Ledertasche über der Schulter und hielt eine Zeitschrift in der rechten Hand.
Dann sah sie mich, kam an meinen Tisch und küsste mich zur Begrüßung auf beide Wangen. Ihr Haar war wieder tadellos frisiert, und sie duftete nach Limonen.
Eine englische Ausgabe von Vogue landete auf dem Tisch zwischen uns, und wir lächelten uns zur Tarnung wie alte Freunde zu, als sie mir gegenüber Platz nahm.
Ich nahm die Untertasse ab und stellte Liv ihren
Kaffee hin. Sie hob die Tasse an ihre Lippen. Aber der Kaffee war anscheinend schon kalt oder schmeckte nicht mehr gut, denn sie stellte die Tasse sofort wieder ab.
»Das Computerzentrum der Maliskija liegt im Raum
Narva.«
Ich erwiderte ihr Lächeln, als habe sie einen Scherz gemacht. »Narva?« Das hätte ebenso gut auf dem Mond liegen können.
»Sie werden eine Regionalkarte im Maßstab eins zu zweihunderttausend brauchen.«
»Von welchem Land?«
Sie lächelte wieder.
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