Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
riskieren, dass die Maliskija Zugang erhält. Niemand kann es sich leisten, Nick, Echelon der Maliskija zu überlassen.«
Ich konnte mich trotzdem nicht ohne weiteres damit abfinden. »Aber warum informiert Val nicht einfach die Amerikaner? Er wollte ihnen doch einen anonymen
Hinweis aufs Haus der drei Finnen zukommen lassen.«
»Undenkbar. Was wäre, wenn sie Tom gefangen
407
nehmen würden und er ihnen haarklein schildern würde, wie sich alles abgespielt hat? Nick, ich glaube, das würden auch Sie nicht wollen, nicht wahr? Tom würde für den Rest seines Lebens wieder hinter Gitter wandern
– und Sie kämen in die Nachbarzelle.«
Liv bückte sich und stellte den Aktenkoffer wieder neben ihre Tragetaschen. Als sie sich wieder aufrichtete, schien sie das Ergebnis unseres Gesprächs
zusammenzufassen. »Sorry, Nick, aber wie Sie sich denken können, habe ich jetzt viel zu tun. Wir treffen uns morgen im Stockmann – um elf Uhr im Café. Das ist der früheste Zeitpunkt, zu dem ich neue Informationen beschaffen kann. Eines steht jedenfalls fest: Nach unserem Treffen müssen Sie sich schnellstens auf den Weg machen. Hat die Maliskija Tom dazu gebracht, mit ihr zusammenzuarbeiten, zählt jede Stunde.«
Ich nickte langsam. »Diese neuen Informationen
kommen wohl mit dem Sechsuhrdreißigzug aus St.
Petersburg?«
Sie zuckte mit keiner Wimper. »Ja, natürlich, Nick. Ich möchte mich nochmals dafür entschuldigen, was passiert ist. Aber wenn Sie von Anfang an über alles informiert gewesen wären …«
»Dann hätte ich den Auftrag gar nicht erst
übernommen?«
»Genau. Ich muss jetzt gehen.« Liv stand auf und zog ihren Mantel an. »Ich brauche ungefähr eine
Viertelstunde Vorsprung, denke ich.«
Ich nickte wortlos. Während sie aus der näheren
Umgebung verschwand, würde ich mir noch einen Kaffee 408
holen; danach würde ich losziehen, um festzustellen, wo Estland genau lag und wie zum Teufel man dorthin kam.
409
Donnerstag, 16. Dezember 1999
27
Zehn Minuten bevor Liv kommen würde, setzte ich mich im Café Avec des Kaufhauses Stockmann an einen
Ecktisch. Auf dem Weg hierher hatte ich in einem
Internetcafé Halt gemacht auf der Website der Sunday Times die Moonlight-Maze-Story nachgelesen. Sie war echt.
Der Name »Avec« schien sich auf die Tatsache zu
beziehen, dass man seinen Kaffee hier mit einem Schuss von allem aus der Bar bekommen konnte – von Jack
Daniels bis zu Preiselbeerlikör. Die Einheimischen kippten das Zeug, als drohe ab morgen Alkoholverbot.
Ich stellte die beiden Tassen und das Plundergebäck auf den Tisch und legte die Untertasse auf Livs Tasse, damit ihr Kaffee heiß blieb.
Das Café war so übervoll wie bei meinem ersten
Besuch mit Tom. Ich hatte letzte Nacht viel an ihn gedacht, während ich in meinem billigen – und vor allem anonymen – Hotelzimmer lag. Die traurige Tatsache war, dass es wichtiger war, die Maliskija daran zu hindern, die von Echelon gewonnenen Informationen mit ihren
Moonlight-Maze-Aktivitäten zu verknüpfen, und dafür einen Haufen Geld zu kassieren, als Tom das Leben zu retten. Dann sah ich ihn wieder vor mir, wie er tapfer versucht hatte, mich nach unserem Sprung vom Zaun wegzuschleppen. Tom zu liquidieren, würde mir nicht 410
leicht fallen.
Ich hatte sogar überlegt, ob ich zum Konsulat gehen und Lynn über die abhörsichere Verbindung anrufen sollte, aber dann war mir klar geworden, dass ich das eigentliche Ziel – Geld – aus den Augen zu verlieren drohte. Sobald Lynn davon wusste, war der Fall für mich erledigt. Ich würde von Glück sagen können, wenn
jemand mir anerkennend den Kopf tätschelte. Hielt ich den Mund, konnte ich drei Millionen Pfund einsacken und machte mich noch dazu um die Demokratie verdient.
Das war natürlich alles Bockmist. Das Dumme war nur, dass es auch wie Bockmist klang.
Nach meinem gestrigen Fünfuhrtee mit Liv war ich
gleich zum Hafen hinuntergegangen, um mich nach
Fährverbindungen nach Estland zu erkundigen. Seine Hauptstadt Tallinn schien Bestimmungshafen für jede Menge Autofähren, Katamarane und Tragflügelboote zu sein. Die schnelleren Schiffe brauchten für die 80
Kilometer lange Strecke nur eineinhalb Stunden, aber von der jungen Frau am Vorverkauf erfuhr ich, sie würden wegen Treibeis und Sturm auf der Ostsee in den nächsten Tagen nicht verkehren. Bei solchem Wetter verkehrten nur die bewährten altmodischen Fährschiffe, die normalerweise über vier Stunden brauchten – bei schwerer See
Weitere Kostenlose Bücher