Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
mit ausgestreckten Armen leicht beide Seitenwände hätte berühren können. Hier stank es nach gekochtem Kohl. Einige Bodenfliesen fehlten, und die blau
gestrichenen Wände waren fleckig, weil an vielen Stellen der Verputz heruntergefallen war. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, ihn aufzukehren. Die aus einer
Stahlplatte mit drei Schlössern und einem Spion
bestehenden Wohnungstüren sahen so niedrig aus, als müsse man beim Eintreten den Kopf einziehen.
Wir warteten neben den hölzernen Briefkästen, die in Reihen übereinander angeordnet waren, auf den Aufzug.
Die meisten Briefkastentüren waren von ihren
Scharnieren gerissen, die noch vorhandenen Türen
standen einfach offen. Hätte ich im Vorraum eines südamerikanischen Gefängnisses gestanden, wäre mir wohler gewesen.
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An der Wand gegenüber dem Aufzug hing die in
kyrillischer Schrift mit der Hand geschriebene,
umfangreiche Hausordnung. So hatte ich wenigstens etwas vor Augen, während wir auf das Surren des Motors im Aufzugschacht horchten.
Der Aufzug kam mit einem hörbaren Schlag zum
Stehen, und die Tür öffnete sich ruckelnd. Wir betraten einen Aluminiumkasten, dessen Innenverkleidung überall dort verbeult war, wo sie von Stiefeln getroffen werden konnte. Acht drückte auf den Knopf für den vierten Stock. Der Aufzug fuhr mit einem Ruck an, hielt alle paar Meter, als habe er vergessen, wohin er sollte, und fuhr dann doch weiter. Als wir endlich den vierten Stock erreichten, lag ein sehr schwach beleuchteter Flur vor uns. Als Acht, den ich vorausgehen ließ, sich nach links wandte, stolperte er. Im nächsten Augenblick sah ich den Grund dafür: Auf dem Fußboden vor mir lag eine
zusammengerollte Gestalt: ein Junge von elf oder zwölf Jahren.
Acht starrte ohne einen Funken Interesse auf den
Jungen hinunter. Er beförderte seine Tragetaschen mit einem Tritt zur Seite, wandte sich ab und ging weiter.
Bevor ich ihm folgte, packte ich den umgekippten jungen Schnüffler, der stark nach Klebstoff roch, an den Schultern und zog ihn etwas näher an die Wand.
Während wir den Korridor entlanggingen, sang Acht einen russischen Rapsong und zog dabei einen
Schlüsselbund aus der Jackentasche. Vor der letzten Tür rechts blieb er stehen, probierte einen Schlüssel nach dem anderen aus, bis er endlich alle Schlösser aufbekam.
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Dann öffnete er die Wohnungstür und tastete nach dem Lichtschalter.
Aus dem Raum, den wir jetzt betraten, kam der
Kohlgestank jedenfalls nicht. Ich nahm den typischen Geruch von schweren Holzkisten und Waffenöl wahr; diesen Geruch hätte ich überall wieder erkannt. Er erinnerte mich sofort an jenen Tag im Jahr 1976, an dem ich mit 16 Jahren in die britische Armee eingetreten war.
Die unvermeidliche nackte Glühbirne erhellte einen winzigen Vorraum, kaum größer als zwei mal zwei
Meter, mit drei weiteren Türen. Acht verschwand durch die linke, und ich folgte ihm, nachdem ich die
Wohnungstür geschlossen und alle Schlösser hatte
einschnappen lassen.
In der Deckenleuchte, auf die in den sechziger Jahren jede Familie stolz gewesen wäre, brannte nur eine der vier Glühbirnen. In dem kleinen Raum standen
Holzkisten, Kartons aus Wachspappe und gewöhnliche Pappkartons, aus denen Munition aller Kaliber quoll –
alle mit Aufdrucken in kyrillischer Schrift. Das Ganze wirkte sehr tschadisch: Es erinnerte an einen Tschad, dessen Haltbarkeitsdatum gefährlich überschritten war.
Vor mir hatte ich einen Stapel brauner Kisten mit Seilgriffen. Als ich den Deckel der obersten Kiste abnahm, erkannte ich die tellerförmigen mattgrünen Behälter sofort. Acht, der bis über beide Ohren grinste, imitierte eine Detonation und deutete mit den Händen an, wie alles auseinander flog. Auch er schien zu wissen, dass das Panzerminen waren. »Siehst du, Worsim besorgt dir alles, Mann. Zufriedenheit garantiert, ja?«
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Ich nickte nur, während ich mich weiter umsah.
Überall waren Pappkartons. Sie waren feucht gewesen, als sie aufgestapelt worden waren, und deshalb unter dem auf ihnen lastenden Gewicht geplatzt. Ihr Inhalt hatte sich auf den Fußboden entleert. In einer Ecke sah ich ein halbes Dutzend Elektrozünder liegen: Aluminiumröhren von der Größe einer angerauchten Zigarette mit zwei Silberdrähten, die einen halben Meter lang aus einem Ende heraushingen. Diese Silberdrähte waren lose, nicht verdrillt, was erschreckend war, denn so wirkten sie als Antennen für von außen kommende Energie – zum
Beispiel die
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