Nick Stone - 06 - Feind ohne Namen
Sekunde zu Sekunde mehr. Die Nummer wurde
jedoch nicht angezeigt, und während ich mir noch
überlegte, wer der Anrufer gewesen sein könnte,
klingelte das Handy erneut. Ich hielt es ans Ohr, hörte die Ankündigung, dass eine Mitteilung für mich eingegangen sei, und vernahm dann den unverkennbaren Tonfall des Jasagers, der mich immer an den Direktor einer
Privatschule erinnerte: »Dienstag, acht Uhr
siebenundfünfzig. Rufen Sie mich an, sobald Sie diese Nachricht erhalten – unter derselben Nummer wie letzten Monat.«
Scheiße, nein!
Ich schaltete das Gerät aus. Dass ich im Lande war, konnte er nur von George erfahren haben – und indem er das Handy orten ließ, wusste er auf zehn Meter genau, wo ich mich aufhielt. Das bedeutete nichts Gutes, und Schwierigkeiten hatte ich ohnehin schon reichlich. Ich schaltete mein Handy wieder ein und wählte seine
Nummer.
Er meldete sich nach dem zweiten Klingeln. »Was?«
Der Jasager war nie das gewesen, was man einen
umgänglichen Menschen nannte.
»Ich bin’s, Nick.«
»Passen Sie auf, es gibt einen Schnellschuss. Seien Sie um dreizehn Uhr hier. Von Bromley aus haben Sie nicht lange zu fahren.«
»Nein, passen Sie mal auf.« Ich konnte es nicht vertragen, dass er noch immer so redete, als gehörte ich ihm. »Ich arbeite nicht mehr für Sie. Ich lebe nicht mal hier.«
Er seufzte genau wie früher meine Lehrer. »Die
Fahrten nach Chelsea können die Großeltern der Kleinen übernehmen.« Der Scheißkerl hatte mir nicht mal
zugehört. »Sie sind wieder abkommandiert worden.
Wollen Sie Zeit vergeuden, können Sie Ihre
amerikanischen Arbeitgeber anrufen. Die werden Ihnen das bestätigen. Ob Sie das tun oder nicht, ist mir egal, aber seien Sie pünktlich hier. Rechnen Sie damit, für einige Wochen unterwegs zu sein.«
Am anderen Ende wurde aufgelegt, und ich starrte das Telefon in meiner Hand einige Sekunden lang wie vor den Kopf geschlagen an. Ausgeschlossen! Ich konnte unmöglich ein paar Wochen fort.
Ich ging die Einfahrt entlang, marschierte auf dem Gehsteig auf und ab und ordnete dabei meine Gedanken.
Nicht, dass das sehr lange gedauert hätte. Binnen Sekunden tippte ich die Nummer von Georges Piepser ein. Zum Teufel mit dem Zeitunterschied; George wurde dafür bezahlt, dass er Tag und Nacht erreichbar war.
Ich wurde aufgefordert, meine Telefonnummer zu
hinterlassen, und war gerade dabei, sie einzutippen, als ich ein Auto dicht hinter mir halten hörte. Eine
schottische Stimme rief: »Alles in Ordnung,
Freundchen?«
Ich drehte mich um und blickte in zwei grinsende, vom Leben recht mitgenommene Gesichter, die ich nie
wiederzusehen gehofft hatte. Der Teufel mochte wissen, wie sie wirklich hießen. Für mich waren sie Laufschuhe und Sundance, die beiden Schergen des Jasagers, die Kelly ermordet hätten, wenn ich mich geweigert hätte, für ihn einen Auftrag in Panama zu übernehmen.
Mein Handy klingelte, und ich sah Laufschuhe die
Handbremse anziehen, damit der Wagen ein paar Meter von mir entfernt stehen blieb.
»Ich bin’s. Sie haben angerufen.«
Ich starrte den Volvo an, in dem Sundance ebenfalls mit seinem Handy telefonierte – vermutlich mit dem Jasager.
»Ich bin gerade informiert worden. Warum ich? Sie wissen, weshalb ich hier bin.«
»Ja. Aber ich bin kein Sozialarbeiter, mein Junge.«
Seine Stimme klang keineswegs verschlafen.
»Ich kann nicht weg.«
»Ich rufe Osama an, damit er seine Aktivitäten
vorläufig einstellt, okay? Nein, mein Junge, die Pflicht ruft.«
»Es muss jemand anderen geben.«
»Ich will, dass mein Mann dabei ist, und das sind heute Sie, weil Sie vor Ort sind.«
»Aber ich habe hier Verpflichtungen, ich muss bei ihr bleiben …« Ich merkte plötzlich, wie erbärmlich das klingen musste.
»Was glauben Sie, was ich den ganzen Tag lang tue?
Ich werde dafür bezahlt, dass ich denke, und genau das tue ich. Ich habe darüber nachgedacht – deshalb weiß ich, dass nur Sie dafür in Frage kommen. Das Leben ist hart, mein Junge. Sie werden dafür bezahlt, dass Sie für uns arbeiten, also tun Sie’s gefälligst.«
»Das verstehe ich, aber …«
»Sie verstehen nichts, und es gibt kein Aber. Machen Sie sich an die Arbeit, sonst hat sie vielleicht nie Gelegenheit, die Früchte ihrer Luxustherapie zu
genießen.«
Ich spürte plötzlich einen dumpfen Schmerz in der Brust, während Sundance weiter in sein Handy
schwatzte. Ich hatte George bisher für einen besseren Mann gehalten. » Fuck you! Mit diesem Trick
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