Nick Stone - 06 - Feind ohne Namen
wenn’s nicht anders ging, war ich sogar bereit, ihn anzubetteln.
Carmen fuhr die Falten auf ihrem Gesicht mit den
Fingerspitzen nach, ohne Lorraine eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Sie wusste vermutlich, was kommen würde, aber sie wollte es mir nicht leicht machen. Ich sprach etwas lauter. »Du weißt ja, wie solche Sachen sich manchmal hinziehen … Vielleicht komme ich heute
Abend nicht mehr zurück. Für diesen Fall brauche ich jemanden, der Kelly morgen früh nach Chelsea fährt.«
Ich fragte mich sekundenlang, ob sie mich überhaupt gehört hatte. »Du liebe Güte, ich weiß nicht recht«, sagte sie schließlich. »Da müsste ich Jimmy fragen. Ich glaube nicht, dass ihm der Verkehr gefallen würde. Und dann die Citymaut und alles … Auch die Parkplatzsuche ist bestimmt nicht einfach. Wie lange würden wir denn warten müssen?«
»Nur knapp eine Stunde. Hör zu, ich zahle das Benzin und die …«
»Wir können uns Benzin leisten, weißt du.«
»Aber du hast gerade gesagt … Wo liegt das Problem, Carmen?«
»Nun, ich meine, was sollen wir den Nachbarn
erzählen? Niemand weiß, dass sie bei einem Psychiater in Behandlung ist.«
»Ihr braucht keine gottverdammte Plakattafel in den Garten zu stellen. Und zum millionsten Mal: Die Sache ist nicht weiter dramatisch. Kelly ist nicht geisteskrank, sie braucht nur etwas Hilfe bei verschiedenen Sachen, das ist alles.«
»Nun, kann man das dem armen Ding etwa verübeln,
wo sie’s im Leben so schwer gehabt hat? Von einem zum anderen abgeschoben zu werden, ständig deine
schlimmen Redensarten hören zu müssen …«
Ich konnte es nicht länger ertragen. Diese Frau war so negativ eingestellt, dass ich förmlich spürte, wie sie mir alle Energie aus dem Körper saugte. Sie hatte ihr gesamtes Leben damit verbracht, andere Leute
herunterzumachen oder sich selbst zu bemitleiden, und würde sich nun nicht mehr ändern. Nur ein wuchtiger Schlag mit einem Hammer auf ihren Hinterkopf hätte wohl noch eine Änderung bewirken können.
»Danke für dein Verständnis, Carmen.« Ich machte auf dem Absatz kehrt und verließ das Wohnzimmer. Am
liebsten hätte ich etwas Sarkastisches gesagt wie »Ich weiß gar nicht, warum ich Tausende von Pfund für eine Psychiaterin bezahlt habe, wenn ich doch dich habe« –
aber das fiel mir erst ein, als ich auf dem Flur war.
Was ich als Nächstes zu tun hatte, gefiel mir noch weniger. Ich war dabei, alles zu bestätigen, was Kelly ohnehin schon von mir dachte.
In dieser Beziehung hätte ich mir keine Sorgen zu machen brauchen. Der Schaden war bereits angerichtet.
Als ich dem geblümten Teppich zu ihrem Zimmer folgte, tauchte Kelly vor der Tür auf. Ich konnte ihren
Gesichtsausdruck nicht genau deuten: Zorn,
Ungläubigkeit, Enttäuschung, Verlassenheit, vielleicht eine Mischung aus allem. Jedenfalls bedeutete er, dass ich in der Scheiße steckte. »Ich glaube dir nicht, Nick.«
Sie war den Tränen so nahe, dass sie die Worte kaum herausbrachte.
»Ich kann nicht anders, Kelly. Ich muss nur zu einer Besprechung. Klappt alles wie vorgesehen, bin ich …«
»Man kann immer anders, Nick. Das predigst du doch sonst immer, nicht wahr? Warum sagst du das nicht auch diesen Leuten?«
»So einfach ist das nicht.« Ich wollte ihr mit der Hand übers Haar streichen, aber sie zuckte zurück, als hätte ich sie mit einem Elektroschocker berührt.
»Lass mich!« Sie wich in ihr Zimmer zurück.
»Gottverdammter Heuchler!«
Ich hörte, wie Carmen erschrocken tief Luft holte.
Entweder hatte Lorraine empfohlen, an der
Feuchtigkeitsfront auf unorganische Stoffe zu setzen, oder sie hatte gelauscht. In beiden Fällen würde sie die Schuld mir geben.
Kelly knallte die Tür zu, die jedoch kein Schloss hatte.
Ich klopfte leise an. »Lass mich die Sache erklären. Nein, ich will nichts erklären – lass mich einfach reinkommen und sagen, dass es mir Leid tut.«
Ich hörte ein Schniefen und öffnete die Tür. Sie lag auf dem Bauch auf dem Bett und hatte ein Kissen über dem Kopf. Als ich hereinkam, warf sie es weg und setzte sich auf. »Ich habe dir so viel erzählt, Nick. Mehr als du verkraften konntest, stimmt’s?«
»Ich weiß, dass ich’s schaffen sollte, diesen Leuten zu sagen, dass sie mir den Buckel runterrutschen sollen.
Aber das kann ich nicht. Ich kann es einfach nicht.«
Sie vergrub das Gesicht in den Händen. »Wann
kommst du zurück?«
»Bald. Heute Abend, vielleicht morgen.«
»Okay, dann fahr jetzt.«
Ich wollte
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