Nick Stone - 06 - Feind ohne Namen
geworden.
Arbeitsgeräusche aus der Küche ließen vermuten, dass es bald Kaffee geben würde, aber hier im Wohnzimmer warteten wir noch immer darauf, dass der Direktor mit der Morgenandacht begann. Er blätterte nochmals um und drückte dann eine Kurzwahltaste seines Handys. Ich versuchte, seinen Blick auf mich zu lenken, aber er war einfach zu beschäftigt, um mich wahrzunehmen, als er jetzt weiterlas und sich die Sache mit dem Anruf anders überlegte.
Das Poltern von Yvettes Stiefeln auf dem dünnen
Teppichboden kündigte ihr Kommen mit einem Tablett an. Sie stellte es auf den Couchtisch vor dem Sofa und schenkte dem Jasager zuerst ein. Er trank, was Suzy als NATO-Standard bezeichnete: Kaffee mit Milch und zwei Stück Zucker. Suzy bekam ihren Kaffee ungefragt
schwarz, ohne Zucker; ich mit Milch, ohne Zucker.
Yvette hatte ein Computergedächtnis für Details.
Sie nahm in ihrem Sessel Platz und beugte sich zur Seite, um einen der Aktenkoffer aufzuheben. Die
Handschelle klirrte an der Kette, als sie den Koffer auf ihre Knie nahm und die Schlösser aufspringen ließ. Der Jasager gab ihr einen Teil der Akte und sah kurz zu mir herüber, bevor er sich wieder auf die Seiten auf dem Couchtisch konzentrierte. »Freut mich sehr, dass Sie’s rechtzeitig geschafft haben.«
Ich sah zu Suzy hinüber. »Ich glaube, ich bin sogar vorzeitig da – auch ohne die freundlichen Helfer an meiner Tür. Sir?« Ich hasste es, ihn so anzusprechen, aber irgendwie musste ich ihn auf mich aufmerksam machen. »Kann ich Sie unter vier Augen sprechen?«
»Was gibt’s?«
»Ich müsste etwas mit Ihnen besprechen.«
Suzy verstand, was mein Blick bedeutete; sie verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich. Yvette blieb dagegen, wo sie war. Ein vertrauliches Gespräch mit dem Jasager bedeutete automatisch auch eines mit ihr.
»Nun?«
Er hatte nicht einmal aufgesehen. Ich wusste sofort, dass mein Versuch aussichtslos war.
»Sir, ich habe ein persönliches Problem, um das ich mich dringend kümmern muss. Ich brauche nur noch
etwas Zeit, um ein paar Dinge in Ordnung zu bringen.«
»Sie kapieren einfach nichts, was? Sie haben kein persönliches Problem, weil Sie kein Privatleben haben.
Diese verrückte Kleine bleibt bei ihren Großeltern oder fliegt nach Amerika zurück. So einfach ist die Sache.
Was aus ihr wird, spielt keine Rolle, denn Sie bleiben hier und tun, wofür Sie bezahlt werden.«
»Sir, das weiß ich, aber …«
»Kein Aber. Sie halten die Klappe und machen sich an die Arbeit. Haben Sie verstanden?«
Ich nickte. Was hätte ich im Augenblick auch anderes tun sollen? Aus der Wohnung stürmen und mich von den beiden Muskelmännern schnappen lassen, die mich
liebend gern in ihrer Garage in die Mangel genommen hätten? Dafür war’s noch zu früh. Es musste eine andere Möglichkeit geben.
16
Der Jasager richtete sich auf dem Sofa auf, während Yvette sich erhob, um Suzy wieder hereinzuholen. Er blätterte weiter in seinen Unterlagen, als die beiden Frauen an ihm vorbeigingen und Yvette uns beiden aus ihrem Aktenkoffer je einen Luftpolsterumschlag gab. Ich schlug meinen Reisepass auf. Er lautete wieder auf den Namen Nick Snell. Alles war in Ordnung: Das
Geburtsdatum stimmte, aber einige der Stempel waren verändert worden. So war unser Urlaub in Malaysia nicht mehr dokumentiert. Ich kontrollierte die gebraucht aussehenden Kreditkarten der Bank of Scotland,
überzeugte mich davon, dass sie noch gültig waren.
Yvette schenkte sich nun ebenfalls Kaffee ein.
»Die Tarnadresse bleibt?«
Sie nickte.
Ich sah zu Suzy hinüber, die ihre Sachen ebenfalls kontrollierte – allerdings mit viel größerer Begeisterung als ich. Ihre Augen glitzerten, aber sie bemühte sich, ihre Aufregung vor dem Boss unter Kontrolle zu halten.
Der Jasager hatte die Akte weggelegt, als sein Handy erneut klingelte. Yvette griff danach und verschwand in der Küche, obwohl das überflüssig war; ihr Flüstern war aus einem viertel Meter Entfernung ohnehin nicht mehr zu hören.
Der Jasager beugte sich nach vorn, um nach seinem Kaffeebecher zu greifen, und fixierte dann Suzy. Das war mir nur recht. Ich wäre gern irgendwo anders gewesen und war froh, wenn ich ihn wenigstens nicht ansehen musste. »Die Weinflaschen, die in Penang übergeben wurden, haben Lungenpesterreger enthalten …« Er ließ das letzte Wort in der Luft hängen, als warte er auf eine Reaktion. Von mir würde er keine bekommen; ich wäre nicht hier gewesen, wenn sie Fat
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