Nick Stone - 06 - Feind ohne Namen
Araber fixiert sind, schlüpfen Südostasiaten durchs Netz. Sieht man heutzutage einen Araber, hält jeder ihn für einen Terroristen. Sieht man einen Südostasiaten oder Inder, denkt jeder nur, dass er einen Schnellimbiss betreibt.«
»Wie sieht dieses Zeug also aus?«, fragte Suzy. »Wie wird es bei einem Angriff verbreitet, und welchen Schutz brauchen wir? Und noch wichtiger – wo beginnen wir mit der Suche?«
Er starrte mich noch einen Augenblick lang verächtlich an, dann wandte er sich wieder ihr zu. »Bisher ist nicht einmal die Regierung ganz in den Ernst der Lage
eingeweiht. Das Kabinett würde überreagieren, und die Downing Street Number Ten leckt wie ein Sieb –
innerhalb weniger Stunden würde auf den Straßen völlige Anarchie herrschen. Deshalb sind Sie hier. Es darf einfach nicht so weit kommen.«
Sein Handy trillerte erneut, und Yvette verschwand damit in der Küche. Der Jasager sprach weiter. »Die Wörter ›Pest‹ und ›Lungenpest‹ dürfen in keinem
Bericht, keiner Meldung auftauchen. Der
Lungenpesterreger hat den Decknamen ›Dark Winter‹.
Ich wiederhole ausdrücklich: Die Wörter ›Pest‹ und
›Lungenpest‹ dürfen niemals erwähnt werden. Sie
sprechen immer nur von ›Dark Winter‹. Haben Sie das beide verstanden?« Er deutete auf Suzy, die zustimmend nickte, und dann auf mich, und ich nickte ebenfalls. Ich hatte nicht vor, länger als unbedingt nötig hier
herumzuhängen, aber bis dahin musste ich wenigstens tun, was von mir erwartet wurde. Der Jasager lehnte sich zurück und ließ seine Hände auf den Knien ruhen. »Ihr Auftrag ist sehr einfach: Sie bringen sich in Besitz von Dark Winter.« Da dies unser Auftrag war, wiederholte er ihn, um jeglichen Zweifel auszuschließen.
»Jedoch …« Ich hätte mir denken können, dass noch etwas kommen würde; es gab immer ein »Jedoch«. Sein Zeigefinger stach in die Luft. »Sollten Sie jedoch auf eine oder mehrere Personen stoßen, die Sie daran hindern wollen, Dark Winter in Besitz zu nehmen, reagieren Sie so, wie die Situation es erfordert, um die Sicherheit der Öffentlichkeit und Ihre eigene zu gewährleisten.«
Das war die Standardformel. Etwa notwendige Morde waren nur dann legal, wenn der Innen- oder
Außenminister – ich konnte mir nie merken, welcher dafür zuständig war – sie im Voraus genehmigte, und falls irgendwas schief ging, musste der Jasager behaupten können, er habe niemals befohlen, ASU-Mitglieder auf englischem Boden zu töten.
»Als Erstes nehmen Sie Kontakt mit unserem
Informanten auf. Die näheren Einzelheiten dieses Treffs erklärt Yvette Ihnen später.« Er wechselte einen Blick mit seiner Assistentin. »Sobald unser Freund seine Angelegenheiten in Ordnung gebracht hat.«
Suzy lehnte sich zurück und schlug die Beine
übereinander. »Dann ist also sonst niemand beteiligt?«
»Niemand.«
»Das ist ein bisschen so, als sollte ein
Vorschlaghammer mit einer Nuss zertrümmert werden, nicht wahr?«
Yvette stand auf, während der Jasager seine Papiere einsammelte. Ihr Anorak raschelte leise, als sie in die Ärmel schlüpfte. »Dieses Unternehmen ist etwas
komplizierter als die meisten. Der Dienst befindet sich auf einer schwierigen Gratwanderung«, sagte sie.
Das war das erste Mal, dass ich sie mit normaler
Stimme sprechen gehört hatte.
»Wir müssen losziehen und Dark Winter aufspüren,
aber zugleich die Einzelheiten seiner Existenz und seiner geplanten Verwendung vor der Öffentlichkeit geheim halten – zu der in diesem Fall leider die Regierung, andere Dienststellen und einige der eigenen Leute gehören. Nur so können wir die Öffentlichkeit schützen und trotzdem unser Ziel erreichen. Für diese Aufgabe bleibt uns jedoch nur ein sehr kleines Zeitfenster, in dem wir das Problem eliminieren müssen, bevor die Umstände es schon sehr bald erfordern könnten, die zuständigen Dienststellen zu informieren.«
Das klang wie etwas aus der Fernsehserie Yes, Minister , und ich verstand praktisch nichts von dem, was Yvette sagte. Aber die Message war klar: Ging irgendwas schief, würde die Schuld auf andere abgewälzt werden.
»Dark Winter« war der Deckname einer im Juni 2001
von den Amerikanern durchgeführten Übung gewesen, die US-Spitzenpolitiker mit den Möglichkeiten von Bioterroristen hatte vertraut machen sollen. Bei dieser Simulation hatte ein Terrornetzwerk amerikanische Großstädte, darunter Atlanta, Oklahoma City und
Philadelphia, mit Pocken infiziert. Innerhalb von
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