Nick Stone - 06 - Feind ohne Namen
vierzehn Tagen hatte der Virus alle fünfzig
Bundesstaaten und mehrere Nachbarstaaten erfasst, was einem Sieg der Terroristen gleichkam. Tausende von Amerikanern waren »gestorben«, unzählige andere waren
»infiziert« worden. Ich wusste nur deshalb von dieser Übung, weil ein Freund von mir an ihr teilgenommen hatte. Die ganze Welt hätte in höchstem Maß alarmiert sein sollen, aber das war ein Vierteljahr vor dem 11.
September gewesen, deshalb hatte niemand auch nur mit der Wimper gezuckt.
Mir war klar, was hier passierte. Die Firma sicherte sich für den Fall ab, dass Informationen nach außen drangen oder wir kompromittiert wurden. Wurde dem Dienst vorgeworfen, auf eigene Faust gehandelt oder dem Premierminister Informationen vorenthalten zu haben, konnte der Jasager empört behaupten: »Natürlich haben wir die Regierung informiert – liest denn niemand die Geheimdienstberichte, weiß denn nicht jeder, was ›Dark Winter‹ ist?« Die Beziehung zwischen Regierung und Firma war seit dem zweiten Golfkrieg nicht besonders herzlich. Ich hätte wetten können, dass es dem Jasager einen Heidenspaß machte, ihr diese Informationen
vorzuenthalten. Suzy wirkte noch aufgeregter als er. Ich wusste nun mit Sicherheit, dass sie praktisch für diesen Scheiß lebte.
Der Jasager schaufelte die letzten Unterlagen in seinen Aktenkoffer. Yvette folgte seinem Beispiel und machte dann weiter, indem sie die Handschelle klickend um ihr schmales Handgelenk schloss. »Um fünfzehn Uhr
erhalten Sie Informationen über den Inhalt der Flaschen und den Umgang damit. Der Mann heißt Simon und
kommt hierher. Er weiß nichts von dem geplanten
Unternehmen, sondern glaubt, sein Vortrag diene nur zur allgemeinen Unterrichtung von Mitarbeitern des
Diensts.« Sie sah lächelnd auf und stellte Blickkontakt zu uns her, während der Jasager seinen Aktenkoffer an sich kettete. »Ich bin um achtzehn Uhr wieder da –
voraussichtlich mit Einzelheiten zu dem Treff mit dem Informanten, Nachrichtenmitteln und zwei Oscar-Paketen.«
Der Jasager stand ebenfalls auf. Sich zu erkundigen, ob es noch Fragen gebe, war nie seine Gewohnheit
gewesen: Er war davon überzeugt, sobald er zu sprechen aufhörte, wüssten seine Zuhörer alles, was sie wissen mussten.
Die beiden gingen zur Tür. Suzy war mit den
Kaffeebechern unmittelbar vor ihnen, bevor sie in die Küche abbog.
Als der Jasager an mir vorbeikam, beugte er sich kurz so tief zu mir hinunter, dass ich seinen Atem in meinem Ohr spürte. »Veranlassen Sie vor dem Vortrag um
fünfzehn Uhr, was mit diesem Kind geschehen soll.
Danach gehören Sie mir, verstanden?«
Als die Wohnungstür sich schloss, kam Suzy mit
strahlendem Lächeln aus der Küche. »Na, ist das nicht wieder echt verrückter Scheiß? Ich bezweifle allerdings, dass der Boss sich so über das Wiedersehen mit dir gefreut hat wie ich …« Sie griff in ihre Hüfttasche, zog eine Blisterpackung Kaugummi heraus, ließ sich
rückwärts aufs Sofa des Jasagers plumpsen und legte ihre Füße auf die Armlehne. »Okay, was hältst du von dieser ganzen Sache?«
»Ich bin für alles offen.«
»Danke. Du brauchst nicht gleich über Bord zu
gehen.«
Sie studierte mich, während sie sich zwei Stück
Kaugummi in den Mund stopfte. »Nun, wenigstens wirst du nicht an Passivrauchen sterben. Ich habe das Rauchen aufgegeben.«
»Na wunderbar.« Ich ging zur Wohnungstür. Als ich die Klinke herunterdrückte, rief ich Suzy zu: »Hey, wir haben noch eine Stunde Zeit, bevor dieser Simon kommt.
Ich kaufe mir nur etwas Wasch- und Rasierzeug. Bis später!«
»Okay …« Das klang nicht überzeugt.
17
Als ich wieder im Auto saß und mein Handy aufklappte, war die Parkuhr schon beinahe abgelaufen. Ich hatte erwartet, dass Sundance und Laufschuhe sich gerührt verabschieden würden, wenn ich das Haus verließ, aber sie waren nirgends zu sehen. Da ihr Auftrag ausgeführt war, waren sie vermutlich in ihre Löcher
zurückgekrochen.
Scheiße, wie sollte ich bloß aus dieser Sache
rauskommen? Ich hatte keine Ahnung. Ich wusste nur, dass ich mich für den Fall, dass ich letztlich doch dem Jasager gehörte, zusammenreißen und auf den Auftrag vorbereiten musste. Dies war eine erbarmungslose Welt.
George hatte Recht – aber das hatte er fast immer.
Ich hörte ein krächzendes »Hallo?« Carmen musste in einem tiefen Brunnen festsitzen, wenn er einen Anruf entgegennehmen durfte. »Jimmy, ich bin’s, Nick. Hör zu, ich …«
»Oh, dann gebe ich
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