Nick Stone - 06 - Feind ohne Namen
und
Laufschuhe umzulegen, bevor ich alt und grau wurde.
Das würde ein Job sein, für den mich niemand bezahlen musste.
Sie öffnete die Tür weiter und bat mich flüsternd herein. »Hallo, Nick. Wir sind letztes Mal nicht mehr dazu gekommen, uns zu verabschieden.«
»Das wäre Zeitvergeudung gewesen, oder nicht?«,
antwortete ich ebenfalls flüsternd. Hätte ich in normaler Lautstärke mit ihr gesprochen, hätte es geklungen, als benützte ich einen Handlautsprecher. Ich konnte nur hoffen, dass ich mich nie mit ihr auf einem Berggipfel wiederfinden und darauf angewiesen sein würde, dass sie um Hilfe rief.
Das entlockte ihr ein schwaches Lächeln, und ich
grinste, als ich die Wohnung betrat. Ich konnte den Jasager sofort hören. Das war gut, denn in Gedanken übte ich bereits, was ich zu ihm sagen würde. Die kahlen Wände der rechteckigen kleinen Diele waren ebenfalls scheußlich magnolienfarben gestrichen. Geradeaus vor mir hatte ich die Schlafzimmertür; rechts lagen das Bad und eine ziemlich heruntergewirtschaftete weiße
Resopalküche. Ich folgte dem billigen grauen
Büroteppichboden nach links ins Wohnzimmer mit Blick auf das verblüffende Grün des Platzes unter uns.
Der Jasager hielt den Kopf gesenkt und nahm das
gesamte rote Samtsofa in Beschlag, während er in einer Akte blätterte und dabei in ein Handy sprach. Suzy, die Jeans, eine schwarze Lederjacke und darunter einen ärmellosen Pullover fast im selben Grau wie der
Teppichboden trug, saß in einem der Sessel. Vor ihren Füßen stand eine große Sporttasche aus blauem
Nylongewebe.
Die beiden übrigen Sessel standen an der Wand. Auf einem lag ein Goretex-Anorak, in dem ich Yvette noch nicht gesehen hatte – ein rotes Ding mit tausend Taschen und Reißverschlüssen. Ich ließ mich in den anderen fallen. Zwischen ihnen standen zwei braune Aktenkoffer, deren Griffe jeweils durch eine gut zwanzig Zentimeter lange Kette mit einer abgewetzten Handschelle
verbunden waren.
Niemand sagte ein Wort. Der Jasager begrüßte mich nicht, weil er ein Arschloch war, und da er’s nicht tat, musste auch Suzy schweigen. Ich nahm ihr das nicht übel. Sie war etwas zu leicht erregbar, aber wenn ich schon mit jemandem zusammenarbeiten musste, stand sie auf meiner Liste ganz oben – und das nicht nur, weil alle anderen auf dieser Liste tot waren.
Ich saß vorn auf der Sesselkante und wartete darauf, dass Yvette uns Kaffee kochte. Der Jasager nickte immer wieder, während er in seinen Unterlagen blätterte, wurde dabei zusehends aufgebrachter und fuhr seinen
unsichtbaren Gesprächspartner an: »Okay … Ja … Nein!
Sagen Sie ihm, dass wir uns heute Abend treffen – auch wenn er die Anzahl nicht bestätigen kann, ist dieser Treff wichtig. Erinnern Sie ihn daran, wer er ist und dass ihm keine andere Wahl bleibt.«
Er knallte das Handy auf den Tisch und las die
restlichen Seiten quer. So hatte ich ihn noch nie erlebt; er zeigte tatsächlich Nerven. Suzy und ich saßen nur da und wechselten stumme Blicke, während er weiterlas und zwischendurch nickte. Scheiße, sie sah aus, als freue sie sich auf diesen neuen Auftrag! Ich wusste, dass Suzy sich nach einer B&H verzehrte, aber sie würde sich bestimmt keine vor ihm anzünden. Der Jasager rauchte und trank nicht und war ein wiedergeborener Christ – ein
Scientologe oder irgendwas in der Art –, sodass er bestenfalls ziemlich beängstigend war. Ich überlegte, ob ich ihn mit Josh bekannt machen sollte; vielleicht würden die beiden einander zu Tode langweilen.
In der Küche klirrte und klapperte Geschirr; dann rauschte Wasser, als der Kessel gefüllt wurde.
Ich beugte mich nach vorn und stützte meine Ellbogen auf die Knie, während ich zusah, wie der Jasager auf einige Seiten kurze Randnotizen schrieb. Sein rötliches Haar wurde an den Schläfen immer grauer – oder wäre grau gewesen, wenn er’s nicht gefärbt hätte. Er hatte wieder mal Grecian 2000 benutzt, und ich nahm einen deutlichen Kupferton wahr.
Seine blaue Krawatte mit Rautenmuster war wie
immer sehr eng gebunden und straff angezogen.
Vielleicht war das der Grund für seine ständig rote Gesichtsfarbe. Oder vielleicht versuchte er, so seinen Hals zu verbergen, an dem immer irgendein Furunkel zu eitern schien. Er war jetzt Mitte vierzig, und man mochte sich kaum vorstellen, wie er als Kid ausgesehen haben musste. Das Gesicht mit den Aknenarben sprach von einer unglücklichen Jugend. Vielleicht war er deshalb ein Arschloch
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