Nick Stone - 06 - Feind ohne Namen
umgeben. Wir
bogen rechts in Richtung Bahnhof ab.
»Am besten parken wir dort, kommen zu Fuß zurück
und gehen mal daran vorbei.« Parkt man in einem
Wohngebiet, erwarten die Anwohner, dass man in einem der umliegenden Häuser verschwindet.
Straßenschilder gab es allmählich keine mehr, aber wir fanden trotzdem den Bahnhof, ein viktorianisches
Klinkergebäude mit Glasanbauten, neben dem ein neuer Superstore von Morrisons und eine Filiale des
Bekleidungshauses Matalan standen. Suzy stellte den Wagen auf dem Parkplatz von Morrisons ab, und wir studierten gemeinsam den Stadtplan, um uns zu
orientieren.
30
»Der Stadtplan ist alt.« Ich umringelte die Stelle, wo inzwischen der Morrisons stand. »Aber wir sind hier, am Rand dieser unbebauten Fläche. Das Zielobjekt liegt nördlich von uns, ist in ungefähr zehn Minuten zu Fuß zu erreichen.«
Die Sir Lewis Street gehörte zu einer sechs Blocks umfassenden Reihenhaussiedlung an drei Straßen; jeder Block war ungefähr zweihundertfünfzig Meter lang und parallel zu den übrigen angeordnet. Mitten hindurch führte die Walker Street, die am Bach begann und etwas länger als die beiden anderen war. Die unbebaute Fläche erstreckte sich über den gesamten Bereich zwischen Bach und Hauptverkehrsstraße.
Suzy verzog das Gesicht. »Wie kann man hier bloß
überleben? Ich hasse solche Scheißsiedlungen.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Leute können sich nicht immer aussuchen, wo sie leben wollen, stimmt’s?«
Wir arbeiteten eine Strategie für eine Erkundung zu Fuß aus, bei der wir nicht genau wussten, wo das
Zielobjekt lag. Auf dem Stadtplan war die Sir Lewis Street als Sackgasse dargestellt.
Suzy riss eine Ecke des Plans ab und faltete das Papier zu einem kleinen Zeigestab zusammen. »Wenn wir die Loke Street hinuntergehen, an den Läden vorbei, die wir vorhin gesehen haben, und auf einer der Quergassen rechts abbiegen, müssten wir das Ende der Sir Lewis Street erreichen. Von dort aus können wir die ganze Straße entlanggehen, bis wir wieder zur Loke Street kommen.«
»So machen wir’s. Unsere Story lautet, dass wir zu einem Kurzurlaub hier sind. Wir wollten nur einen Spaziergang machen, haben uns verlaufen und sind auf der Suche nach dem Bahnhof.«
Suzy überzeugte sich davon, dass nichts von unserer Ausrüstung im Wageninneren herumlag, schloss ab und kontrollierte, ob alle Türen wirklich abgesperrt waren.
Auf dem Parkplatz wimmelte es von Autos und
Einkaufswagen. Suzy und ich gingen nebeneinander auf die in die Wohnsiedlung führende Lücke zu. Suzy hängte sich bei mir ein und kommentierte lächelnd Marke und Farbe aller Autos, an denen wir vorbeikamen. Uns ging es darum, aus der Ferne natürlich zu wirken, während wir uns zwischen den geparkten Wagen
hindurchschlängelten.
Die Bewohner der städtischen Reihenhäuser hatten
sich bemüht, ihre Vorgärten individuell zu gestalten, und genau das schien Suzy noch mehr aufzubringen. Manche hatten Steinlöwen auf den Torpfosten ihrer Gartentüren stehen; bei anderen saßen Gartenzwerge auf der Treppe vor der Haustür oder angelten in kleinen Teichen; wieder andere hatten Vogelhäuschen mit Windmühlen. Die
elegantesten Häuser hatten Carports. Am besten gefielen Suzy einige lockere Halbziegel in einer Wand neben einer Telefonzelle. »Das wäre ein idealer toter
Briefkasten, oder?«
Ich nickte, als wir auf der Loke Street nach links abbogen, in die Richtung zurückgingen, aus der wir mit dem Auto gekommen waren, und an all den
Reihenhäusern aus Coronation Street vorbeikamen. Auf einer in eine Mauer eingelassenen Steinplatte stand die Jahreszahl »1892« – anscheinend das letzte Jahr, in dem sich irgendjemand hier neu eingerichtet hatte. Durch Tüllgardinen sahen wir gemusterte braune Teppichböden und aus Messing gegossene Hunde, die an gefliesten offenen Kaminen saßen.
Suzys Stimmung hatte sich keineswegs gebessert. »Ich hasse solche Siedlungen!«
»Was ist denn los? Gefällt dir Norfolk nicht?«
»Ich bin zur See gegangen, um aus einem Drecksloch dieser Art rauszukommen. Scheiße, hier sieht’s aus wie West Belfast an einem scheußlichen Tag. Da sind mir Bluewater und mein neuer Wintergarten zehnmal lieber!«
Ich sah mich um und wusste genau, was sie meinte –
bis auf die Erwähnung von Bluewater.
Wir gingen die Loke Street entlang weiter und an den beiden ersten Verbindungsstraßen vorbei, die parallel zur Sir Lewis Street verliefen. Aus einem Eckgeschäft kam ein Chinese
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