Nick Stone - 06 - Feind ohne Namen
Stadtplan, stellen fest, wo die Adresse liegt, ziehen dann los und sehen uns das Haus an, okay? Wann wird’s heute wohl dunkel?«
Bevor sie antworten konnte, klingelte mein Nokia. Ich hielt es ihr hin. »Hier. Ich bin eine arschlochfreie Zone, vergiss das nicht.«
Sie drückte die grüne Taste und hielt das Handy ans Ohr. »Hallo? Ja, Sir, die Verbindung ist abhörsicher.« Sie sah zu mir hinüber und verdrehte die Augen. Wäre die Verbindung das nicht gewesen, hätte er nicht mit ihr reden können. Danach entstand eine Pause. »Oh, nein, er fährt, Sir.« Suzy nickte, als er irgendetwas sagte, und sah dabei mit sehr ernstem Gesicht zu mir hinüber. »Ja, Sir, wird gemacht.«
Sie betätigte die rote Taste mit dem Daumen, dann gab sie mir das Handy zurück. »Die Adresse wird seit zwei Jahren von der Einwanderungsbehörde und der örtlichen Polizei überwacht.«
»Tut er was dagegen? Ich meine, sorgt er dafür, dass die Überwachung eingestellt wird?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nö … Alles inoffiziell, hast du das vergessen, Norfolk-Boy?«
»Verdammter Idiot!«
Sie nickte langsam. »Erzählst du mir irgendwann, was du gegen ihn hast?«
Dann erreichten wir die Außenbezirke von King’s
Lynn, und Suzy fuhr in eine BP-Tankstelle. Einsätze beginnt man immer mit vollem Tank, und wir brauchten ohnehin einen Stadtplan.
Als ich auf dem Rückweg zu unserem Auto den
Faltplan studierte, konnte ich bereits die Nordseebrise spüren. King’s Lynn lag am südlichsten Punkt der als The Wash bezeichneten Meeresbucht. Die Great Ouse floss durch die Stadt und bildete vermutlich das
Fahrwasser, auf dem Schiffe in den Hafen gelangten.
Wir überquerten eine Ringstraße, an der sich
Baumärkte, Möbelgeschäfte und Elektrodiscounter
drängten, zwischen die ein paar Burger-Restaurants eingestreut waren, und als wir den Schildern zum
Stadtzentrum folgten, begannen die Dinge sich zum Schlimmeren zu verändern. Vor uns lag eine traurige Mischung aus Stahlbetonbauten aus den siebziger Jahren und hundert Jahre alten Klinkerhäusern. Die ganze Stadt sah aus, als brauchte sie ein Großreinemachen und einen frischen Anstrich. Überall waren mit Brettern verschalte Geschäfte zu sehen. Wir kamen an einem riesigen
Parkplatz neben dem trübselig grauen Betonbau eines Einkaufszentrums und dann an einigen wenigen
verfallenden georgianischen Häusern vorbei.
Suzy war ebenso enttäuscht wie ich, verzog das
Gesicht, schüttelte den Kopf und kaute immer schneller ihren Nikotingummi, während wir an einer Gruppe von drei Teenager-Mamis mit Kinderwagen und schlecht
gefärbten blonden Haaren vorbeikamen.
Wir blieben auf der Hauptdurchgangsstraße, die aus der Stadt in Richtung Umgehungsstraße führte. Ich sah auf den Stadtplan. Wir waren jetzt nicht mehr weit von der Sir Lewis Street entfernt. Riesige Treibstofftanks und industrielle Rohrleitungen, halb gestrichen und halb verrostet, begannen links von uns aufzuragen. »Wir brauchen die Loke Road – irgendwo rechts voraus.«
Wir sahen sie beide gleichzeitig. Wir waren kurz vor der Hafeneinfahrt, als wir neben riesigen unbebauten Flächen von der Hauptstraße rechts abbogen. »Zur Sir Lewis ist’s nicht mehr weit – über einen Bach, dann die Erste links.«
Suzy wirkte noch deprimierter, als wir an den
Vorgärten der Sir Lewis vorbeifuhren: endlose Zeilen von terrassenförmig angelegten Reihenhäusern, die geradewegs aus der Serie Coronation Street hätten stammen können.
Wir fuhren an der Straße vorbei, die unser Ziel war, und Suzy murmelte: »Alles wirkt so beschissen
seelenlos.«
Ich sah die schmalen Zufahrten zwischen den
Terrassenhäusern entlang und konnte auf fast jedem Hinterhof Wäsche und neben Mülltonnen Abfallsäcke sehen, die ihren Inhalt teilweise auf den Gehsteig ergossen. In den sechziger Jahren hatte irgendjemand ein Vermögen damit verdient, dass er die Hauskäufer dazu beschwatzt hatte, in Rauputz und Klinkerverkleidungen zu investieren. Jetzt standen vor vielen Häusern neben der obligatorischen Satellitenschüssel abgeblätterte Schilder mit der Aufschrift »Zu verkaufen«, und keiner der auf beiden Seiten der schmalen Straße parkenden Wagen schien einen neueren Registrierbuchstaben als J
zu haben.
Wir kamen an einem Lebensmittelgeschäft, einem
handgemalten Schild für einen Frisiersalon und einem Pub vorbei. Kaum eine Minute später waren wir von Wohnblocks aus den fünfziger Jahren und einstöckigen Reihenhäusern mit Sozialwohnungen
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