Nick Stone 06 - Feind ohne Namen
warnen, dass es lange dauern kann, bis wir am Ende dieses speziellen Tunnels Licht sehen. Kelly wird alle
Unterstützung brauchen, die Sie ihr überhaupt geben können.«
»Wie geht’s also weiter?«
»Es gibt mehrere Dinge, die Anlass zur Sorge geben. Vor allem ihre Drogenabhängigkeit, die in gewisser Beziehung am dringendsten ist. Sie ist unmittelbarer lebensbedrohend.«
»Lebensbedrohend?« Mein Herz verkrampfte sich. Was zum Teufel ging hier vor?
»Das ist der schlimmstmögliche Fall, aber eine Möglichkeit, die wir nicht außer Acht lassen dürfen. Opiate als Schmerzmittel sind gefährlich, weil sie so leicht Abhängigkeit erzeugen. Sie funktionieren, indem sie Sperren entlang der gesamten Schmerzbahn von den Nervenenden in der Haut übers Rückenmark und bis ins Gehirn errichten, wo sie die Schleusen für den Wirkstoff Dopamin öffnen, der Wohlbefinden auslöst.«
»Sodass man sich völlig relaxed fühlt?«
»Genau. Das Dopamin stellt das Gehirn dann effektiv so um, dass es sich an dieses Wohlbefinden gewöhnt. Hört ein Abhängiger auf, die Droge zu nehmen, verlangt sein Körper energisch danach. Nimmt Kelly über längere Zeit hinweg Vicodin, wird sie seelisch und körperlich davon abhängig - und stellt unter Umständen bald fest, dass die Droge in der ursprünglichen Dosierung nicht mehr wirkt. An diesem Punkt steigert der Abhängige die Dosis, bis die gewünschte Wirkung wieder eintritt. Vorläufig ist Kelly nur missgelaunt und einsilbig, leidet unter merklichen Stimmungsschwankungen. Steigert sich ihre Abhängigkeit jedoch, muss sie mit Sehstörungen,
Halluzinationen und geistiger Verwirrung rechnen. Auch wenn sie sich nicht dafür entscheidet, mit anderen Drogen zu experimentieren, um die gewünschte Wirkung zu erzielen, kann die bestehende Abhängigkeit zu Überdosierung, Leberversagen, Krämpfen, Koma und letztlich zum Tod führen.«
Ich hielt mein Handy umklammert. »Diese Dealer, die Kindern solchen Scheiß verkaufen ... in Malaysia werden sie dafür gehenkt. Dafür habe ich allmählich Verständnis.«
»Ich weiß nicht recht, ob uns das in Kellys gegenwärtiger Situation weiterhelfen würde. Drogenabhängigkeit und Bulimie sind vielleicht nur Bestandteile eines größeren Ganzen, deshalb glaube ich, dass es nützlich wäre, wenn Sie und ich nochmals miteinander reden würden. Da meine Erfahrungen sich mehr auf rezeptpflichtige und frei verkäufliche Schmerzmittel beziehen, habe ich mit amerikanischen Kollegen gesprochen, die auf Vicodin spezialisiert sind. Sie sagen, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, ihre Therapie nach ihrer Rückkehr nach Amerika fortzuführen. Als Erstes müssen wir feststellen, ob sie an Bulimie leidet, denn das hat Einfluss auf die Wahl des Therapeuten. Aber wir können nichts erzwingen, was sie nicht selbst will. Und das ist der Punkt, an dem Sie ins Spiel kommen.«
»Ja, natürlich. Wir sehen uns also morgen. Soll ich bis dahin irgendetwas zu ihr sagen?«
»Nein. Alles Weitere können wir besprechen, sobald die Diagnose feststeht. Das größte Geschenk, das Sie ihr jetzt machen können, ist Ihre Unterstützung.«
»Ihre Mom sein?«
»Genau. Wir sehen uns also morgen.«
Ich drückte auf die Taste meines Handys, um zu sehen, wer angerufen hatte, und hasste dabei Tri-Band-Handys von Sekunde zu Sekunde mehr. Die Nummer wurde jedoch nicht angezeigt, und während ich mir noch überlegte, wer der Anrufer gewesen sein könnte, klingelte das Handy erneut. Ich hielt es ans Ohr, hörte die Ankündigung, dass eine Mitteilung für mich eingegangen sei, und vernahm dann den unverkennbaren Tonfall des Jasagers, der mich immer an den Direktor einer Privatschule erinnerte: »Dienstag, acht Uhr
siebenundfünfzig. Rufen Sie mich an, sobald Sie diese Nachricht erhalten - unter derselben Nummer wie letzten Monat.«
Scheiße, nein!
Ich schaltete das Gerät aus. Dass ich im Lande war, konnte er nur von George erfahren haben - und indem er das Handy orten ließ, wusste er auf zehn Meter genau, wo ich mich aufhielt. Das bedeutete nichts Gutes, und Schwierigkeiten hatte ich ohnehin schon reichlich. Ich schaltete mein Handy wieder ein und wählte seine Nummer.
Er meldete sich nach dem zweiten Klingeln. »Was?« Der Jasager war nie das gewesen, was man einen umgänglichen Menschen nannte.
»Ich bin’s, Nick.«
»Passen Sie auf, es gibt einen Schnellschuss. Seien Sie um dreizehn Uhr hier. Von Bromley aus haben Sie nicht
lange zu fahren.«
»Nein, passen Sie mal auf.« Ich
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