Nick Stone 06 - Feind ohne Namen
ihr Gesicht huschen.
»Sorry, dass ich nicht mit ihr reden wollte«, sagte Kelly. »Aber sie hätte mich nur ermahnt, meinen Mantel anzubehalten und darauf zu achten, dass du mir etwas Vernünftiges zum Essen kaufst.«
»Ich glaube, dass du ein bisschen unfair bist. Vielleicht hätte sie zum Beispiel über die humanitäre Krise im Irak mit dir diskutieren wollen.«
Kellys Lächeln wurde ausgeprägter, und ich spürte, wie meine Stimmung sich schlagartig besserte. »Weil wir gerade von Essen reden - wie wär’s mit einem McRib?«
Es dauerte nicht lange, bis wir in dem überfüllten McDonald’s am Wandsworth-Kreisel in der Warteschlange standen. Nachdem wir endlos lange gebraucht hatten, um zur Theke zu gelangen, hatten wir keine Lust, noch länger auf einen neuen Schwung McRibs zu warten, deshalb nahmen wir beide den Viertelpfünder mit einer großen Portion Pommes. Kelly wollte dazu einen Milchshake. Sie lief voraus, um uns einen Tisch zu sichern, der eben frei wurde, und ich kam mit dem Tablett nach.
Dann stopften wir uns mit Pommes voll, während hyperaktive Kinder an uns vorbei zum Spielbereich tobten. Kelly war schon immer ein Strich in der Landschaft gewesen, aber seit wir uns zuletzt gesehen hatten, hatte sie noch mehr abgenommen. Wie sie derartige Riesenportionen verdrücken konnte, war mir ein Rätsel.
Sie tunkte ihren Burger in zusätzliches Ketchup und führte ihn zum Mund, aber dann biss sie doch nicht hinein, sondern starrte ihn nur an. »Dr. Hughes sagt, dass Ehrlichkeit sich selbst gegenüber der Schlüssel zur Genesung ist.«
»Sagt sie das? Sie hat Recht, denke ich. Ehrlichkeit ist vermutlich der Schlüssel zu allem.«
Ohne mich anzusehen, veränderte sie ihre Haltung auf der Kunstlederbank. »Nick, möchtest du etwas von dem hören, was ich ihr heute erzählt habe?«
Ich nickte, machte mich aber auf einiges gefasst. Selbst wenn es zu ihrer Therapie gehörte, wollte ich sie nicht sagen hören, dass sie mich hasste.
»Hast du mal Drogen ausprobiert, als du jung warst?«
Ich schüttelte den Kopf. »Bloß Alkohol. Das andere Zeug hat mich nie gereizt. Warum? Bist du unter die Grasshopper gegangen?«
Sie bedachte mich mit einem wirklich verärgerten Lächeln. »Pot rauchen? Dass ich nicht lache!« Ihr Gesicht verdüsterte sich wieder. »Nein, ich meine was anderes. Hast du schon mal von Vicodin gehört?«
»Schmerzmittel? Matthew Perry?«
»Ich bin beeindruckt. Okay, pass auf. Keine Verurteilung, okay? Keine Strafpredigt?«
Ich nickte, als könnte ich dadurch den Druck verringern, der sich in meinem Kopf aufbaute.
»Und kein Wort zu Granny und Grandpa. Josh ... nun, dem sage ich es selbst, wenn mir der Zeitpunkt günstig erscheint.«
»Ganz wie du willst.«
Sie trank einen Schluck Milchshake und blickte dabei zu dem Fernseher auf, als sammle sie ihre Gedanken. Dann starrte sie mir mit ihren durchdringenden blauen Augen ins Gesicht. »Okay, die Sache sieht folgendermaßen aus. In meiner Highschool kommt man leichter an Vicodin ran als an Tylenol für Kinder. Wer die Dinger hat, teilt sie mit anderen.«
»Wie kommt ihr an das Zeug? Gibt’s an eurer Schule Dealer?« Erwachsene, die diesen Scheiß nahmen, waren eine Sache; Dealer, die Kinder zum Drogenkonsum verführten, waren eine ganz andere. Solche Leute verdienten, dass man ihnen den Schädel einschlug. Ich konnte spüren, wie die Haut in meinem Gesicht zu prickeln begann, aber ich war entschlossen, mir nichts anmerken zu lassen.
»Nein. Du erinnerst dich an meine Freundin Vronnie? Letztes Jahr im Herbst hat ihr Freund die Weisheitszähne gezogen bekommen. Der Zahnarzt hat ihm viel mehr Vikes verschrieben, als er dann brauchte, also hat er ihr die restlichen Tabletten gegen ihre Migräne gegeben. So hat’s angefangen.«
Kelly sah sich im Restaurant um. »Vicodin stumpft einen gegen Schmerzen ab, und bald ist diese Unempfindlichkeit etwas, das man wieder möchte. Aus dem Fernsehen wissen wir alle, dass es süchtig macht. Melanie Griffith und Matthew Perry mussten deshalb eine Entziehungskur machen. Wir wissen, dass auch Eminem Schwierigkeiten hat. Aber Vikes wirken gut, das ist das Problem. Meine Freunde und ich haben ständig Notenstress und bleiben bis spät nachts auf, um Hausaufgaben zu machen und zu pauken. Vikes verschaffen einem ein High, bauen den Stress ab. Und bevor du etwas sagt, Nick, versichre ich dir, dass ich nicht in der falschen Clique bin.« Ihr Lachen klang hohl. »Es ist das Mittel der Wahl für Kids, deren
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