Nicodemus
aufgerissenen Augen. »Nein!«
»Sieh mich an, John. Etwas Schlimmes ist geschehen. Du und ich, wir müssen alle Jungen aus dem Speicherturm ins Compluvium bringen. Dort sind wir in Sicherheit. Und wenn nicht, dann können wir im Notfall von dort Starhaven verlassen.«
John schüttelte den Kopf. »Nein!«
Nicodemus verfluchte sich insgeheim. »John, ich wollte dich nicht so aufregen. Es wird schon alles gut gehen. Nur müssen wir jetzt schleunigst aufbrechen. Nimm mit, was du brauchst, besonders warme Sachen.« Nicodemus bewegte sich auf die Tür zu. »Ich wecke die Jungen.«
John trat ihm in den Weg. »Nein!«, verkündete er erneut und versperrte mit seiner wuchtigen Gestalt die Tür.
»John, uns bleibt nichts anderes übrig. Hier sind wir nicht mehr sicher.« John schüttelte den Kopf.
Als Nicodemus sich an ihm vorbeischieben wollte, versetzte ihm John einen so heftigen Stoß, dass er ins Straucheln geriet.
»Hör mir doch zu, John!«, sagte Nicodemus und stellte seinen Beutel ab. »Wir müssen die Jungen in Sicherheit bringen.«
Daraufhin schüttelte der Hüne abermals den Kopf.
Nicodemus schrieb sich Sätze in einfacher Zaubersprache auf jeden Finger. Jedem normalen Zauberschreiber wäre Nicodemus mit seiner Schreibschwäche hilflos ausgeliefert. Doch hier stand er einem anderen Kakographen gegenüber und bediente sich einfacher Sätze, die selbst er fehlerfrei hinbekam. Simple John wäre nicht in der Lage, sie umzuschreiben oder zu bannen.
»Tut mir leid«, sagte Nicodemus, öffnete schwungvoll seine Hände, und strahlend weiße Sätze wickelte sich um Johns Arme und Beine. Die Kerze ging zu Boden und flammte noch einmal auf, bevor sie erlosch. Zum Glück spendeten der weiße Glanz des Zaubers und die hereinfallenden Mondstrahlen genügend Licht.
Bei seinem Versuch, sich von den Armfesseln zu befreien, sandte John mit dem Kinn einen grünen Zauber. Nicodemus fing ihn auf und erledigte ihn mit einem Gegenzauber. John unternahm noch zwei weitere Versuche, stieß die grünen Zauber wie wüste Beschimpfungen hervor. Dennoch war er zu langsam, und Nicodemus bannte jeden seiner Sätze mit einem Fingerschnippen.
Nachdem John allmählich begriff, dass er es mit Nicodemus nicht aufnehmen konnte, spannte er seine gewaltigen Arme an. Zwei der Zauberfesseln rissen, doch während der Hüne eine dritte sprengte, hatte Nicodemus bereits zehn neue weiße Sätze geschrieben und noch zehn weitere hinzugefügt.
Bei dem Versuch, in einer letzten heroischen Anstrengung freizukommen, verlor John das Gleichgewicht. Nicodemus eilte ihm zu Hilfe und griff ihm noch gerade rechtzeitig unter die Arme, um ihn sanft abzulegen.
John gab auf. Er war so fest verschnürt, als hätte man ihn in Ketten gelegt.
»Es tut mir aufrichtig leid, John«, beteuerte Nicodemus. »Ich mach dich los, sobald du dich wieder beruhigt hast. Versteh doch, wir sind in Gefahr. Wenn wir die Jungen nicht fortbringen, geschieht ihnen womöglich etwas.«
Verzweifelt schüttelte John den Kopf.
»Ich wecke die Jungen jetzt«, sagte Nicodemus. »Wenn ich zurückkomme, packen wir deine Sachen. Einverstanden?« Er bewegte sich auf die Tür zu.
Simple John gab einen Laut von sich, ein fernes Grollen, als summte ein ganzer Bienenschwarm in seiner breiten Brust. »Nnnn… nei…nnn«, knurrte er. »Nnnn…nnn…Nico nein.«
»John, du hast ja etwas Neues gesagt!«
»Nnnnn…Nnnnnico .«
Nicodemus schüttelte den Kopf. »Ich muss mich jetzt beeilen. Bin sofort zurück. Mach dir keine Sorgen.«
John zuckte zusammen. »Ssss…seltsamer Mann sagt zu Simple John, nein lass Nico nicht weg.«
Missbilligend runzelte Nicodemus die Stirn. »Hast du mit den fremden Zauberschreibern gesprochen?«
»Nein! Früher, bevor Simple John nach … nach hierher gekommen ist, sagt Taifon zu Simple John, nein, lass Nico nicht weg.«
»Taifon?«, fragte Nicodemus. »Meinst du vielleicht Taifun? Du hast mit einem Sturm gesprochen?«
Mühsam formte er die Worte mit den Lippen. »Taifon … Taifonius, rotes Haar, schöne schwarze Haut…alt, alt, alt.«
Nicodemus musterte John eingehend. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst, und auch nicht, warum du so viele verschiedene Dinge sagen kannst. Aber John, wir müssen uns jetzt beeilen!«
Tränen kullerten dem Hünen über die Wangen und blieben an seinenBartstoppeln hängen. »Ja!«, sagte er mit einem Mal. »Ich helfe dir. Aber ich muss diese … diese große Schriftrolle holen.«
»Wenn ich dich jetzt losbinde, holst du dann
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