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Nicodemus

Nicodemus

Titel: Nicodemus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Charlton
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schoss hinauf in den Sternenhimmel des Index und prallte in eine Tirade, einen epischen Numinus-Magnuszauber in agressivem, selbst-reflexivem Stil. Ein Scriptorium voller Zaubermeister würde ein gesamtes Jahr brauchen, um solch einen vielseitigen Text fehlerfrei zu schreiben.
    Doch mithilfe des Smaragds explodierten augenblicklich perfekt geformte Sätze in Nicodemus’ Hand und ergossen sich über seinen Arm. Einen Herzschlag lang erglühte er von Zeh bis Zunge vor gewalttätiger Sprache. Im grellen Schein des Zaubers war Fellwroths weiße Gestalt gut auszumachen. Die Kapuze war ihm im Kampf vom Kopf geglitten, so dass Nicodemus seinem Feind ins Antlitz schauen konnte.
    Stumpfes, weißes Haar hing über Fellwroths schmale Schultern. Die fahle Haut erinnerte mit ihrem matten Glanz an eine Made. Das bartlose Kinn, die hohlen Wangen und die Stupsnase wirkten zwar menschlich, dennoch seltsam geschlechtslos. Die bleichen Lippen gaben den Blick auf den Schlund frei, in dem Hunderte von Sehnen vibrierten. Die Augen waren glutrot, und die Stirn zierte ein goldenes Rechteck fließender Numinussätze.
    Mit einem Hieb aus der Rückhand sandte Fellwroth eine Flut nadelspitzer Gegenzauber aus.
    Aber Nicodemus streckte beide Hände aus und ließ seine Tiradelos. Zunächst parierte der Zauber die Spitzen des Gegners, indem er sie in ein Tuch hüllte, dann aber feuerte er eine mächtige Magnuskugel ab. Fellwroth, nun an der Brust getroffen, stürzte zu Boden.
    Nicodemus sprang vom Tisch und beschwor Tausende ineinander verwobene hauchzarte Numinus- und Magnusfäden herauf.
    Obwohl er ausgestreckt am Boden lag, hob der Dämon noch einmal die Hand, um Nicodemus mit einer neuerlichen Flut spitzer Gegenzauber zu attackieren. Doch Nicodemus’ Tirade war zu stichhaltig; die feinen Fäden schossen an Fellwroths Gegenzauber vorbei und entwickelten sich in rasender Geschwindigkeit. Die Magnustirade schlang sich um den Leib des Dämons, schnürte ihm Arme und Beine zusammen. Die Numinustirade verstrickte seinen Geist in ein Netz, das ihn jeglicher Magie beraubte.
    »Halt!«, schrie Fellwroth. »Ich ergebe mich!«
     
    Nicodemus sah auf seinen gefesselten Feind hinab und wartete, dass sich ein Gefühl der Genugtuung einstellen würde. Doch er verspürte lediglich Zweifel und Verunsicherung.
    Was in des Schöpfers Namen sollte nun weiter geschehen?
    Die Tirade war zwar erloschen, aber die verbliebenen Flammenflugzauber erhellten die Höhle zur Genüge. Nicodemus schaute sich um: Deidre lag am Boden und rang noch immer mit den Magnusketten.
    Nicodemus nahm den Text zwischen Daumen und Zeigefinger. Dank des Smaragds erkannte er sofort die Struktur des Zaubers und bearbeitete zwei Absätze. Ein Bindewort riss, und Deidre gelang es, sich die Ketten mit einem Ruck vom Hals zu reißen.
    Auf der anderen Seite der Höhle lag Shannon und rührte sich nicht mehr. Azure hockte neben ihm und versuchte, den Zensorzauber aufzupicken. Nicodemus überlegte kurz und improvisierte dann einen rebenartigen Numinusgegenzauber. Vorsichtig, von unten, warf er ihn Shannon zu. Daraufhin rankte sich der Gegenzauber am Körper des alten Mannes hoch und löste behutsam den Fesselzauber. Stöhnend begann Shannon sich zu regen.
    Ein Lächeln huschte über Nicodemus’ Gesicht, die quälendenSelbstzweifel verschwanden allmählich. Ohne den Smaragd hätte er wohl viele Fehler gemacht, nun aber war er ganz, vollkommen.
    »Du kannst mich nicht töten«, schnarrte eine Stimme. »Ohne meine Hilfe stirbt der Zauberer.«
    Als Nicodemus sich umdrehte, funkelte ihn Fellwroth aus seinen roten Augen hasserfüllt an.
    »Ich bin der Einzige, der ihn von dem Geschwulstzauber befreien kann«, keuchte der Dämon. »Ich habe noch ein paar weitere Dutzend Geschwüre in seinen Eingeweiden verteilt. Du brauchst mich. Nur ich kann dir zeigen, wie man sie entfernt. Nur von mir kannst du alles über Primus erfahren. Ansonsten wirst du nie verstehen, dass das Leben aus magischen Worten und …«
    Mit einem Magnusknebel brachte Nicodemus ihn zum Schweigen. Dann ging er hinüber zu Shannon, der auf allen Vieren kroch und einen weiteren Schwall logorrhöischer Ausdrücke von sich gab. Der silbrige Text war von dunklen Blutfäden durchzogen. Offenbar hatte Fellwroth nicht gelogen, als er von weiteren Flüchen sprach.
    »Nein«, stammelte der alte Linguist und winkte ab. »Versuch etwas über den Krieg der Sprachen herauszufinden. Verhör das Ungeheuer.«
    Nicodemus machte ein finsteres Gesicht.

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