Nicodemus
verdreckten weißen Stofffetzen über ihrer linken Brust. »Wenn du etwas für mich empfindest, dann rette mich.«
»Nein!«, brüllte Taifon, und Nicodemus stieß die rostige Schneide in Deidres Herz.
Deidre wand sich in Krämpfen. Ihre Hände ergriffen das Heft.
Taifon heulte auf, eine Fontäne karmesinroten Bluts schoss aus seiner Brust, und der Dämon fiel auf die Knie, seine Arme zitterten, die Flügel schlugen unkontrolliert.
Deidre sank in Nicodemus’ Arme. Langsam glitten sie zu Boden. Sie schaute auf zu ihm, rang nach Atem. Nicodemus nahm alles unter einem Schleier von Tränen wahr.
Unversehens riss sie ein mächtiger, schwarzer Arm auseinander und schleuderte Nicodemus gegen die Höhlenwand. Taifon hob Deidre hoch und zog ihr das Schwert aus der Brust. Er drückte sie an sich. »Nein!«, keuchte sie. »Nein! Nicodemus, hilf mir! Er heilt …« Der Dämon zerfiel in eine dunkle Staubwolke und drang in Deidre ein.
Eine Woge konfuser Erleichterung durchflutete Nicodemus. Deidre würde nun doch nicht sterben. Rotschwarze Flügel sprossen aus ihrem Rücken, mit der Hand hielt sie das Langschwert umklammert.
Nicodemus rappelte sich auf und fasste sie am Arm. Wegen der Berührung gingen Schockwellen durch seinen Körper, Bilder von Deidre, wie sie als Mädchen durchs Heidekraut sprang, schoben sich vor sein inneres Auge. Dann sah er sie mit einem Kind auf dem Arm. Als nächstes war er wieder in der Gegenwart, und sie hielt ihn. Ihre einst grünen Augen waren nun schwarz wie Onyx.
Leise begann sie zu wispern, doch nicht mit ihrer eigenen Stimme, sondern mit Taifons polterndem Organ. »Lord Severn, April, JamesBerr«, flüsterte sie. »Ihr wart immer mein. Mit dem nächsten Drachen werde ich dich wieder zu dem meinen machen.«
Nicodemus öffnete den Mund, doch er brachte keinen Ton heraus.
»Tötet die Bestie!«, rief plötzlich eine Frauenstimme, und im gleichen Moment schoss ein kriegerischer Magnustext über Deidre hinweg. Magistra Okeke und zwei ihrer Wächter kamen in die Höhle gestürzt und nahmen Deidre mit scharfen Worten unter Beschuss.
Den Wächtern musste es auf magische Weise gelungen sein, den Spalt zwischen Tunnel und Höhle zu überwinden.
Deidre versetzte Nicodemus einen Stoß, so dass er gegen die Höhlenwand prallte. Ihm wurde schwarz vor Augen.
Deidre erhob nun ihr Schwert gegen die Wächter. Mit atemberaubender Geschwindigkeit duckte sie sich geschickt unter den Flüchen der Zauberer hinweg und griff die Schwarzroben an. Dem ersten schlitzte sie die Brust auf, dem zweiten durchschnitt sie die Kehle. Doch als sie sich auf Magistra Okeke stürzen wollte, sprang diese im letzten Moment zurück, um der Schneide zu entgehen.
Ein silbriger Blitz jagte durch die Höhle und schlug Deidre das Schwert aus der Hand. Einer der Zauberer hatte den Angriff vom anderen Ende des Tunnels her geschickt. Mit einem Aufschrei rannte Deidre zum Höhlenausgang. Nicodemus kam gerade noch rechtzeitig auf die Beine, um sie in Richtung Tunnel springen zu sehen. Als er den Höhlenausgang erreichte, stürzte sie mit ausgebreiteten Flügeln in die Tiefe.
Zum Fliegen war sie zu schwer, doch mit heftigen Flügelschlägen gelang es ihr, langsam dem Wald entgegenzutreiben. Hin und wieder bediente sie sich auch der Arme, um sich in der Luft zu halten. Und bevor sie aus seinem Sichtfeld verschwand, konnte Nicodemus einen letzten Blick auf den glitzernden Smaragd in ihrer Hand werfen.
Kapitel 45
Nicodemus blickte Deidre lange nach, bis sie tief unten im Wald verschwunden war. Der Wind fuhr ihm durchs Haar. Die herbstlich kalte Nachtluft roch nach Regen.
»Sie wird den Dämon überleben«, sagte eine sanfte Stimme hinter ihm.
Als Nicodemus sich umsah, erblickte er hinter sich eine kleine, durchscheinende Gestalt, die ihn zunächst an einen Geist erinnerte. Aus azurblauen Augen starrte sie ihn an und presste ihre vollen Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. Ihr dichtes Haar war eigentlich gar kein Haar, sondern ähnelte eher einer weißen Flut, die sich wie ein Fluss über ihren Rücken ergoss und schließlich sanft gegen ihre Fesseln schlug. Kleider aus derbem grünem Stoff umspielten sie, als sei sie unter Wasser.
»Boann.« Nicodemus neigte den Kopf und trat einen Schritt zurück.
»Zumindest das, was von ihr übrig ist«, sagte die Gestalt und erwiderte Nicodemus’ Gruß. »Ich bin dem Kerker entkommen, den Taifon für mich in meinem eigenen Schrein errichtet hat, doch nun bin ich zu schwach, um
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