Nicodemus
übel. Wieder war er der Unglücksbote – ein Meisterverschreiber, außerstande ein anderes lebendiges Wesen zu berühren, ohne dessen vitale Sprache zu verhunzen.
Er schloss die Augen und stellte sich den Smaragd vor. Seine Entschlossenheit,ein für alle Mal mit seiner Schwäche Schluss zu machen, war das Licht, das in den Smaragd strömte.
»Kommt, Nicodemus«, sagte Boann und wandte sich der Höhlenrückseite zu. »Wir müssen uns um Euren Lehrer kümmern.«
»Shannon!«, rief Nicodemus aus. »Ist er …«
»Er ist am Leben«, sagte sie und zeigte mit dem Finger auf den alten Mann am Boden. »Ich habe den Text entzaubert, mit dem der Dämon seinen Geist gebunden hatte, und seinen Vogel hielt ich während des Kampfes versteckt.«
Azure hockte neben Shannon und putzte ihm nervös die silbernen Filzlocken. Boann beugte sich herab und presste einen durchsichtigen Zeigefinger gegen den Kopf des Zaubermeisters. Er schlug die Augen auf. »Nicodemus!«, rief er.
»Hier bin ich, Magister«, antwortete Nicodemus und kniete neben ihm.
Der Zauberer setzte sich auf und tastete umher, als suchte er nach Nicodemus’ Hand.
Nicodemus zuckte zusammen. »Ihr dürft mich nicht berühren, Magister. Ich würde Euren Primustext korrumpieren.«
Der alte Gelehrte betastete seine Schläfen. »Was ist passiert? Mein …« Azure kletterte an seinem Ärmel hoch und ließ sich auf seiner Schulter nieder.
Boann erhob sich und sprach mit so lauter Stimme, als würde sie sich an ein großes Publikum richten. »Nicodemus Weal hat Fellwroth besiegt. Er hat herausgefunden, dass er ein echter Nachfahre der alten Kaiserfamilie ist, und er hat die Wahrheit über die Prophezeiung gelernt. Nicodemus mag zwar über die Kräfte des Unglücksboten verfügen, doch damit ist ihm nicht vorherbestimmt, den Separatisten zu dienen. Ich, die Flussgöttin Boann, habe geschworen, ihn in seinem Kampf gegen den Dämon Taifon zu unterstützen.«
Obgleich ihn die plötzliche Förmlichkeit der Göttin beunruhigte, stellte Nicodemus doch erleichtert fest, dass Shannons Wunden an Nase und Schulter aufgehört hatten zu bluten. Während er versuchte, sich langsam aufzurichten, sprach der alte Mann beruhigend auf seinen Papagei ein.
»Nicodemus«, raunte Boann. »Hinter dir liegt der Index.«
Nicodemus ergriff das Buch.
Die Göttin wandte sich der düsteren Höhlenwand zu. »Wieviel davon habt Ihr mitbekommen, Wächterin?«
Aus den dunklen Schatten trat Magistra Amadi Okeke. Auf ihrer blassen Stirn prangte ein Bluterguss. »Alles, Göttin.«
Wütend funkelte Boann die Frau aus ihren Kristallaugen an. »Dann habt Ihr ja wohl auch verstanden, Magistra, dass Nicodemus kein Zerstörer ist.«
Amadi riss die Augen auf. »Vergebt mir, Göttin. Meine Kenntnisse von der Weissagung waren ungenügend. Wenn ich Nicodemus zurück nach Starhaven bringe, werde ich von allem berichten, was ich gesehen habe.«
Boann lachte. »Für Nicodemus gibt es kein Zurück. Ihr selbst habt den Gedanken der Gegenprophezeiung aufgebracht. Nun fürchten ihn die Zauberer.«
Ein Strahlen ging von Boanns Augen aus.
Amadi wich zurück. »Aber Göttin, ich …«
»Ihr müsst nun den Schaden, den Ihr angerichtet habt, wieder gutmachen. Ihr werdet nach Starhaven zurückkehren und berichten, was hier geschehen ist. Doch werdet Ihr weder die Prophezeiung des Erasmus noch die Gegenprophezeiung berichtigen. Vielmehr werdet Ihr unser Spion innerhalb des Numinusordens werden.«
Amadi schluckte schwer. »Aber Göttin, niemand wird mir Glauben schenken. Ich muss Euch und Nicodemus dabei haben, damit Ihr meinen Bericht bestätigt.«
Boann schüttelte ihr langes fließendes Haar und sandte damit einen Wasserfall ihren Rücken hinab. »Fellwroths Leiche wird Euer Beweis sein. Ihr werdet Deidre nicht erwähnen. Aber Ihr werdet melden, dass Nicodemus und Shannon im Kampf gegen Taifon gestorben sind. Sagt einfach, der Dämon hätte sie von der Brücke geworfen, das wird die fehlenden Leichen erklären. Und es wird die Wächter hoffentlich für eine Weile davon abhalten, uns zu verfolgen.«
Amadi drehte sich zu Fellwroths Leiche um und nickte dann. »Wie Ihr wünscht, Göttin.«
»Magistra Okeke«, sagte Nicodemus zögernd. »Was könnt Ihr mir über den Kakographen Simple John sagen? Ist er am Leben?«
Die Wächterin legte die Stirn in Falten. »Ja, das ist er. Er war es auch, der mich hierhergeschickt hat. Wir haben ihn am Zugang zur Brücke zurückgelassen.«
Nachdem Nicodemus ihr erklärt hatte,
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