Nicodemus
Loch konnte Nicodemus den Wald darunter ausmachen.
Einem der Wächter war es offenbar nicht gelungen, schnell genug zurückzuweichen; verzweifelt schrie er auf, als die Steine unter ihm nachgaben. Silbrige Blitze zuckten, als er versuchte, den Fall mit Worten aufzuhalten – doch vergebens.
Taifon brüllte.
Und Nicodemus fühlte sich wie benommen, seine Lippen waren taub. Er würde es nicht schaffen, die Barriere rechtzeitig zu durchbrechen.
Ein Numinuszauber zerschellte an Taifons Schulter und erleuchtete einen Moment lang Shannons reglose Gestalt. »Magister!«, rief Nicodemus. Er konnte Shannon auf keinen Fall hier zurücklassen.
Aber wie nur sollte er den alten Mann retten? Ohne den Smaragd hatte er nicht die geringste Chance gegen den Dämon. Wenn er dochnur ein wenig Zeit hätte, einen Tarnzauber zu schreiben, um sich zu verbergen, dann …
»Flammendes Blut!«, fluchte er und schob die Ärmel seines Gewands zurück. »Natürlich.« Er zupfte an den chthonischen Sätzen herum, die auf seine rechte Hand tätowiert waren.
Zunächst waren die Sätze widerspenstig und schrieben sich immer wieder neu in seine Haut ein. Doch unter heftigem Gezerre gelang es ihm schließlich, den Zauber freizubekommen.
Zwar hatte ihn der chthonische Geist gewarnt, dass Wrixlan und Pithan Striemen auf seiner Haut hinterlassen würden. Doch auf diese rasenden Schmerzen war Nicodemus nicht vorbereitet.
Sobald sich die purpurne Prosa von seinem Arm gelöst hatte, verwandelte sie sich in Garkex.
Bislang war das Geschöpf nicht größer als ein Kind gewesen. Nun aber ragte der dreigehörnte Feuertroll sechs Fuß in die Höhe, und die muskelbepackten Arme sahen aus wie pralle, mit Flusssteinen gefüllte Mehlsäcke.
Für gewöhnlich machte der Troll ein mürrisches Was-fällt-dir-ein-mich-zu-wecken-Gesicht, doch kaum hatte er Taifon erblickt, weiteten sich seine Augen vor Angst. Schnaubend raffte er Nicodemus an sich und entriss ihm auch noch die übrigen Wrixlangeschöpfe.
Als sich die purpurne Prosa von ihm löste, brannten Nicodemus’ Arme vor Schmerz. Er nahm sich zusammen, um nicht laut aufzuschreien, während Garkex ihn immer wieder hin- und herrollte, um ihm noch weitere Fantasien zu nehmen.
Nach einer endlos scheinenden Qual setzte ihn der Troll endlich ab.
Alle Nachtwesen standen nun um Nicodemus herum: Fael, der Werwolf, Tamelkan, der augenlose Drache, Uro, das albtraumartige Insekt, und viele mehr. Da diese Geschöpfe über Nicodemus’ Haut einiges von seiner Stärke absorbiert hatten, war jedes von ihnen gewachsen; und im nächsten Moment wurde Nicodemus von seinen Fantasien gepackt, auf Tamelkans Rücken gehievt und unter ihrer dunkelblauen Haut versteckt.
Taifon schleuderte den Wächtern noch einen letzten Zauberspruchhinterher. Die Spindle-Brücke war zwar nicht eingestürzt, aber im Tunnelboden klaffte ein fünfzig Fuß breites Loch.
»Nicodemus, sie sind jetzt weit genug weg«, rief der Dämon. »Sie können dir nichts mehr anhaben. Nicodemus?« Taifon hatte sich umgedreht und suchte nun mit den Augen die Höhle ab.
»Magister Shannon«, flüsterte Nicodemus Garkex zu. »Der Mann dort. Wir müssen ihn holen und fliehen.«
Der Troll nickte.
»Nicodemus, das ist nicht der Moment, sich zu verstecken«, polterte Taifon. Der Dämon machte sich daran, den nördlichen Teil der Höhle abzusuchen.
Die Nachtwesen nahmen Nicodemus in ihre Mitte und brachen in die entgegengesetzte Richtung auf.
»Die Zauberer glauben an die falsche Prophezeiung und halten dich für den Unglücksboten«, sagte Taifon. »Sie werden dich zensieren und anschließend töten.«
Das Gespann unsichtbarer Ungeheuer näherte sich nun Deidre. Noch immer stand sie wie versteinert da, nur ihr Schwert hatte sie fallengelassen. Ihr Kopf hing schlaff herunter, ihre Brust hob und senkte sich.
Eine plötzliche Salve von Magnuszaubern erfüllte die Höhle und erwischte den Dämon seitlich. Die Wächter hatten also doch noch nicht aufgegeben. Wutheulend stürzte Taifon zur Höhlenöffnung, um zu einem Gegenschlag auszuholen.
Garkex ergriff die Gelegenheit, um sich Shannon zu schnappen und ihn sich über die Schulter zu werfen. Ohne den Troll zu seiner Linken wurde Nicodemus’ Schulter sichtbar. Taifon war mit den Wächtern zu beschäftigt, doch Deidre, die nicht einmal fünf Fuß entfernt war, richtete ihren Blick auf ihn.
Da stieg Panik in Nicodemus auf. Hatte der Dämon sie etwa vollständig unter Kontrolle? Einen Moment lang erwog er, sie
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