Nicodemus
in einem Raum, und jeder misstraute jedem – in der Gesellschaft hungriger Werwölfe hätte sich Nicodemus wesentlich sicherer gefühlt.
»Über die Prophezeiung gibt es eigentlich nicht viel zu sagen«, erklärte Shannon. »Nicodemus ist nicht der Halkyon.«
»Warum seid Ihr da so sicher?« Deidres grüne Augen waren starr auf den alten Magister gerichtet. »Vielleicht sollten wir mit dem beginnen, was die ersten Zauberer vorhergesehen haben.«
Shannon wollte schon antworten, zögerte dann aber. Da Prophezeiungen eng mit dem Glauben verknüpft waren, wurde zwischen den verschiedenen magischen Völkern so gut wie nie darüber gesprochen. Im besten Fall galt dieses Thema als unhöflich, im schlimmsten als blasphemisch.
Einem Gast konnte Shannon diese Bitte jedoch schlecht abschlagen. »Erasmus hat den Krieg der Sprachen vorhergesehen: Die letzte Schlacht zwischen Dämonen und Menschen, die beginnt, wenn die Dämonen die Alte Welt verlassen und in diese einfallen. In der Prophezeiung heißt es, dass Los wiedergeboren und das Pandämonium – das mächtige Heer der Dämonen – über den Ozean führen wird, um alle menschlichen Sprachen auszulöschen. Dagegen hat Erasmus die Numinusbrüderschaft der freien Zauberer gegründet. Er hat prophezeit, dass der Orden nur Bestand haben wird, wenn er den Lehren eines Meisterzauberschreibers, dem Halkyon, folgt.«
Deidre rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. »Aber wie kann überhaupt irgendeine Kraft die menschliche Sprache zerstören?«
Ungeduldig fiel Magistra Okeke ein: »Die Dämonen werden besondere Zauber, sogenannte Metazauber, verwenden, um die Bedeutung der Sprache von ihrer Form zu trennen.«
Verständnislos sah die Druidin sie an.
»Was Magistra Okeke damit sagen will«, erklärte Shannon, »ist, dass die Dämonen das Bezeichnende vom Bezeichneten abkoppeln werden. Wörter und Redewendungen werden dann unvorhergesehene Bedeutungen annehmen. Die Zivilisation wird in die Barbarei zurückfallen.«
»Ich verstehe Euren Jargon nicht«, sagte Deidre. »Aber dennoch interessiert mich Eure Sicht der Dinge. Die Druiden halten an der Prophezeiung von dem Peregrin fest. Darin heißt es, dass das Pandämonium unsere heiligen Haine niederbrennen und unsere Monolithen zermalmen wird. Ihr müsst wissen, dass unsere irdischen wie auch unsere magischen Texte in unseren geweihten Bäumen und Megalithen verwahrt sind.«
»Und ich dachte, nach Ansicht der Druiden stünde uns der Krieg der Sprachen unmittelbar bevor«, warf Magistra Okeke ein. »Irgendetwas mit einem Pilz, der die dralischen Bäume dahinrafft.«
Immer noch mit einem Lächeln auf den Lippen musterte Deidre die Wächterin, so als sähe sie sie zum ersten Mal. »Amadi Okeke, Ihr sprecht vom Stummen Sterben . Aber die Dinge sind kompliziert, und ich möchte mich hier lieber nicht darüber auslassen.«
Die Wächterin schürzte die Lippen. »Vielleicht könntet Ihr etwas Licht in die Glaubenslehren Eures Ordens bringen, zumal Magister Shannon seinerseits so freimütig über die Prophezeiung der Zauberer gesprochen hat.«
»Das ist wirklich nicht …«, begann Shannon.
»Schon gut«, sagte Deidre und hob beschwichtigend eine Hand. »Das Stumme Sterben ist eine … Veränderung , so muss ich es Euch gegenüber wohl nennen. Ja, das Sterben ist eine Veränderung, die wir schon vor ein paar Jahrzehnten wahrgenommen haben. Es ist keine Krankheit im eigentlichen Sinne, sondern ein … Zustand, in dem sich die gesamte Natur befindet. Das Baumsterben in sämtlichen menschlichen Königreichen liefert den Beweis dafür. Woran genau sie eingehen, ist umstritten. Manche glauben, dass der Befall darauf hindeutet, dass der Krieg der Sprachen jeden Moment ausbrechen kann. Andere wiederum sind der Ansicht, dass das Baumsterben mit der Prophezeiung nichts zu tun hat. Aber in einem einzigen Punktstimmen alle Druiden überein: Wenn der Krieg der Sprachen beginnt, wird ein fremder Zauberschreiber, der Peregrin, kommen und uns zeigen, wie wir unsere heiligen Orte retten und damit unsere Sprache bewahren können.«
Shannon nickte. »Einige unserer Gelehrten berichten, dass alle magischen Völker daran glauben, der Krieg der Sprachen würde ihre Sprache zerstören, und nur ein einziger Zauberschreiber könnte dieses Schicksal abwenden.«
Deidre deutete auf Nicodemus, ohne ihn dabei anzusehen. »Und die Zauberer haben einst geglaubt, dass er der Halkyon sein könnte.«
Magistra Okeke beugte sich vor, ihre Augen huschten zwischen
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