Nie Wirst Du Entkommen
er fasziniert beobachten konnte. »Cynthia Adams war ein komplizierter Mensch«, sagte sie schließlich, während sie Murphy ignorierte und Aidan direkt ansah. »Aber das wissen Sie wahrscheinlich, wenn Sie in ihrer Wohnung gewesen sind.«
»Sind Sie es gewesen?«, fragte Aidan. »In ihrer Wohnung, meine ich.«
»Nein. Noch nie. Nicht in der Wohnung.«
Die Frau log, ohne mit der Wimper zu zucken. Aus dem Augenwinkel sah er, wie ein Muskel im Gesicht seines Partners zuckte. Aidan empfand Mitleid für Murphy, und auch für Spinnelli. Sie machten sich offensichtlich etwas aus dieser Frau. Und daher würde es schwer für sie werden.
Also ist es jetzt an mir, dachte er.
»Aber Sie waren schon einmal
bei
Ihrer Wohnung?«, hakte er nach. »Draußen?«
Sie musterte ihn misstrauisch. »Ja, einmal. Sie kam nicht zu unserem Termin, und ich machte mir Sorgen. Ich rief sie an, bekam aber nur den Anrufbeantworter, also sind mein Partner, Dr. Ernst, und ich hingefahren.«
Sie hatte seit fünf Jahren die Praxisgemeinschaft mit Dr. Harrison Ernst. Der Arzt, der sich dem Rentenalter näherte, war hoch angesehen. Das hatte Aidan bei seiner kurzen Recherche zu Dr. Ciccotelli herausgefunden, bevor sie sie zum Verhör abgeholt hatten. »Machen Sie das oft? Hausbesuche, meine ich?«
»Nein, ganz und gar nicht. Cynthia war sozusagen ein spezieller Fall.«
»Warum?«
Ihre Kiefer pressten sich zusammen, und sie verschränkte die Finger fest in ihrem Schoß. Aus ihrer Miene ließ sich nichts lesen. »Sie war mir wichtig.«
»Wann war das? Der Hausbesuch«, erklärte er und beobachtete, wie sie die Lippen zusammenpresste. Seine Befragungstaktik mit den nachfolgenden Erläuterungen schien sie zu ärgern. Schön.
»Etwa vor drei Wochen.«
»Hat sie Sie zurückgerufen?«
»Irgendwann, ja.«
»Und?«
»Und hat einen neuen Termin vereinbart.« Jetzt spielte sie das Spiel mit. Und nicht einmal schlecht. Beantwortete nur die Fragen, die er stellte.
»Ist sie aufgetaucht? Zu dem neuen Termin?«
»Nein.« Plötzlich war alle Gefasstheit weg, und für einen Sekundenbruchteil sah er eine solche Traurigkeit in ihrer Miene, dass er im Geist den Rückzug antrat. Falls sie unschuldig war, hatte die Frau ihr wirklich etwas bedeutet. Falls sie schuldig war, war sie verdammt gut. »Nein, ist sie nicht«, murmelte sie. »Ich rief sie wieder an und sprach auf ihren Anrufbeantworter, aber sie hat nie zurückgerufen. Ich habe nicht mehr mit ihr gesprochen.«
Aidan zog seinen Block aus der Tasche. »Warum war Miss Adams bei Ihnen, Doktor?«
Der misstrauische Blick war wieder da. »Sie war depressiv.«
»Weswegen?«
Ciccotelli schloss die Augen. »Wenn sie noch lebte, könnte ich Ihnen das nicht sagen, das wissen Sie. Ärztliche Schweigepflicht.«
»Aber sie lebt nicht mehr«, antwortete Aidan mit samtener Stimme. »Sie liegt ausgeweidet auf einer Bahre im Leichenschauhaus.« Ihre Lider flogen auf, und er sah schockierte Empörung. Doch sie hatte sich rasch wieder im Griff.
»Ich begann vor über einem Jahr mit der Behandlung. Sie war schon bei gut einem Dutzend Ärzte gewesen, bevor sie zu mir kam.«
Aidan dachte an all die verschreibungspflichtigen Medikamente, die er bei Adams gefunden hatte. So viele Ärzte. Und doch war Cynthia Adams jetzt tot. »Sie haben ihr ja offensichtlich so sehr helfen können, dass sie sich umgebracht hat«, bemerkte er scharf. Ihre Augen blitzten auf, während Murphy ihm einen warnenden Blick zuwarf.
Sie holte eine Mappe aus ihrer Tasche und legte sie auf den Tisch. »Cynthia Adams litt unter schweren Depressionen, die von Missbrauch in ihrer Kindheit herrührten. Ihr Vater hatte sie zum ersten Mal belästigt, als sie zehn war, und er machte weiter, bis sie mit siebzehn von zu Hause ausriss.« Sie bedachte ihn mit einem ruhigen Blick. »Ich nehme an, Sie haben Beweise für … extreme sexuelle Vorlieben in ihrer Wohnung gefunden, Detective.«
»Wir haben Handschellen und Peitschen gefunden, ja. Und ein paar Fotos.«
Ihr Blick war immer noch ruhig. »Cynthia hasste sich selbst, hasste ihren Vater. Manchmal tun Missbrauchsopfer genau das, was sie am meisten verabscheuen. Sie definieren sich über diese verhasste Tat. Manchmal werden Missbrauchsopfer sexsüchtig. Cynthia war so ein Fall. Sie schlief mit so vielen Männern, wie sie in einer Nacht schaffte, und verabscheute sich dann am nächsten Tag dafür. Sie hatte versprochen, es sein zu lassen, aber es wurde immer schlimmer.«
»Also war sie wegen ihrer
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