Nie Wirst Du Entkommen
unheimlich irgendwie. Ciccotelli zuckte zusammen, als die Stimme weitersprach. »Du bist nicht gekommen. Aber du hast versprochen, mich nicht allein zu lassen. Ruf deine E-Mails ab, Cynthia.«
Aidan hielt das Band an und nahm das Bild mit dem Sarg vom Tisch. »Das war auf ihrem Anrufbeantworter. Und das als Anhang in ihrer Mailbox. Als wir gestern Abend ihre Wohnung betraten, lagen überall dieselben Blumen verstreut wie die, die die Tote in den Händen hat.«
»Jemand hat versucht, sie Melanies Tod noch einmal durchleben zu lassen«, sagte Ciccotelli leise und schloss die Augen. »Das PCP im Blut hat dafür gesorgt, dass sie daran glaubte, Geister reden zu hören. Wer tut nur so etwas?«, wiederholte sie.
Tja, wer? Aidan setzte das Band wieder in Gang und beobachtete sie genau. Er musste nicht lange warten. Schon bei den ersten Worten riss sie die Augen auf und starrte schockiert auf den Kassettenrekorder.
»Cynthia, hier ist Dr. Ciccotelli. Ich habe dich vermisst. Und Melanie hat dich auch vermisst. Es ist heute genau ein Jahr her. Es ist ihr Geburtstag, Cynthia. Melanie hat Geschenke für dich dagelassen. Ist es nicht an der Zeit, dass du ihr gibst, was sie möchte? Dass du dein Versprechen hältst, Cynthia? Halte dein Versprechen, Cyn.«
Aidan drückte die Stopp-Taste, und plötzlich war es totenstill im Verhörraum. Sie sagte nichts, starrte nur weiterhin auf den Apparat, als handelte es sich um eine Giftschlange, die gleich zubeißen würde. Er legte zwei weitere Fotos vor ihr auf den Tisch – die Waffe und die Schlinge. »Das waren Melanies Geschenke an Cynthia«, sagte er tonlos.
Er sah, wie ihr Blick auf die Fotos fiel.
Und begann zu glauben, dass Murphy mit seiner Meinung richtig lag. Ihr schockierter Ausdruck war vollkommen überzeugend. Aber schließlich wusste diese Frau alles über den menschlichen Verstand; sie musste auch wissen, wie man eine solche Szene spielte. Oder?
»Tess«, sagte Murphy. Seine Stimme war heiser. »Die Aufnahmen der Sicherheitskamera aus Adams’ Wohnhaus zeigen eine Frau mit schwarzen Haaren und einem braunen Mantel, die eine große Tüte zum Aufzug trägt.« Er zögerte, dann fuhr er fort: »Auf den Schachteln, in denen die Pistole und die Schlinge lagen, haben wir Fingerabdrücke gefunden. Ebenfalls auf der Flasche mit Xanax.«
Langsam wandte sie sich zu Murphy um. »Wessen Fingerabdrücke?« Aber der furchtsame Ausdruck in ihren Augen verriet, dass sie die Antwort schon kannte.
Murphy schluckte. »Ihre, Tess. Ihre Fingerabdrücke befinden sich auf dem Strick, der Pistole und dem Medikament. Sie passten zu denen auf der Visitenkarte, die Sie mir gestern gegeben haben.«
Sie lehnte sich behutsam im Stuhl zurück. Dann sah sie Aidan mit derselben Ruhe an, die ihn gestern so aufgebracht hatte.
»Ich denke, ich rufe jetzt meinen Anwalt an, Detective. Dieses Verhör ist vorbei.«
Sonntag, 12. März, 14.43 Uhr
E s war einfach unglaublich. Konnte nicht wirklich sein.
Aber es geschieht mir.
Cynthia war tot.
Und ich sitze auf der falschen Seite des Spiegels und brauche zum ersten Mal in meinem Leben einen Anwalt.
Es hatte nur eine Person gegeben, der Tess genügend vertraute, um sie anzurufen. Ihre beste Freundin Amy war eigentlich Verteidigerin in Zivilstreitigkeiten, aber Tess wusste, dass sie ab und zu umsonst in Strafrechtsfällen arbeitete. Also wo zum Teufel blieb sie? Das Blue Lemon war nur zwanzig Minuten von der Polizeistation entfernt, aber Tess war sicher, dass sie schon mindestens doppelt so lange hier saß. Und wartete. Dennoch bekämpfte sie den dringenden Wunsch, auf die Uhr zu sehen, und starrte stur geradeaus.
Sie beobachteten sie. Durch den Spiegel. Sie wusste es. Todd Murphy und das arrogante Arschloch von neuem Partner mit seinem versteinerten Gesicht und den kalten Augen. Sie dachte ja gar nicht daran, ihren Blick abzuwenden.
Soll der Mistkerl ruhig gucken. Und sich den Kopf zerbrechen.
Sie glaubten, sie habe es getan. Sie habe Cynthia Adams dazu gebracht, sich umzubringen. Sie glaubten tatsächlich, dass sie es getan hatte. Und der Gedanke daran verursachte ihr eiskalte Wut.
Sogar Murphy dachte es. Ihr Herz krampfte sich zusammen, während sie weiterhin auf ihr eigenes Spiegelbild starrte, hinter dem die Cops standen und sie beobachteten. Von Reagan hätte sie erwartet, dass er die Beweise sofort aufgriff und gegen sie verwendete. Aber Todd Murphy? Dass er glaubte, sie sei zu so einer Tat fähig, war … unglaublich verletzend.
Sie waren
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