Niedersachsen Mafia
Frauke, als sie
knapp über dem Fußboden um den Türpfosten linste.
Der Todesschütze hatte fast das Podest vor der Tür erreicht. Ihn
mochten zwei Meter von Frauke trennen.
Es war mehr ein Reflex als eine wohlüberlegte Tat, als Frauke
abdrückte. Sie zielte auf den Mann. Wie von einer unsichtbaren Hand gehalten,
blieb er stehen, erstarrte in der Bewegung, als wäre er mitten im Herzschlag zu
Granit geworden. Noch immer hielt er seine Waffe mit dem aufgesetzten
Schalldämpfer auf Frauke gerichtet. Sie sah in das dunkle Mündungsrohr, aus dem
das todbringende Geschoss entweichen würde. Es kam ihr riesig vor, so als würde
es sie verschlucken wollen.
Die Augen des Schützen nagelten Frauke mit einem stechenden Blick
fest. Sie sah, wie sich langsam der Finger um den Abzug zusammenkrallte,
zurückfuhr, dann aber kurz vor dem Druckpunkt einhielt. Für einen Moment
verharrte der Finger in dieser Position, bis er sich kaum merklich zu
entspannen schien und in unendlicher Langsamkeit wieder nach vorn glitt. Dabei
war der Blick des Mannes unablässig auf sie gerichtet, dieser kalte Blick.
Die drei Finger, die um den Schutzbügel des Abzuges lagen, lösten
sich langsam, dann gab der Daumen nach. Die Pistole knickte vornüber ab, hing
für einen Herzschlag am Zeigefinger und rutschte dann aus der Hand. Polternd
fiel sie zu Boden.
Frauke vermochte nicht zu sagen, wie lang dieser Augenblick war.
Vermutlich hatte sich das alles in einer Zeitspanne abgespielt, die zu kurz zum
Messen war.
Geistesgegenwärtig hob sie ihre Pistole und gab einen Schuss in die
Luft ab.
Der Mordschütze starrte sie immer noch an. Dann griff seine linke
Hand zu der Stelle knapp neben dem Schulterblatt, an der Frauke ihn getroffen
hatte. Es war ein glücklicher Schuss gewesen. Sie hätte den Mann auch ins
Gesicht oder ins Herz treffen können.
Jetzt knickte der Mordschütze in den Knien ein, fasste sich aber
wieder, starrte wie gebannt auf seine linke, blutverschmierte Hand, knickte
erneut ein und versuchte, sich umzudrehen.
Der Schock über den Treffer und die Energie, die davon ausging,
hatten ihn aber gelähmt. Frauke stieß mit den Füßen Georgs Bein weg, das sie
behinderte, zog sich am Türrahmen hoch, und dann stürzte sie sich auf den
Schützen. Sie hatte Necmi Özden auch durch das offene Visier hindurch erkannt.
Sie packte den Türken und riss ihn zu Boden. Er stöhnte laut auf,
leistete aber keine Gegenwehr. Sie drückte ihn zu Boden, ohne dabei Rücksicht
auf die Schmerzen zu nehmen, die den Mann durchfließen mussten.
»Hab dich«, sagte sie atemlos. Sie konnte sich nicht davon abhalten,
den ledergekleideten Körper noch einmal auf den Boden zu drücken. Erneut schrie
der Türke auf. Es war ein bekanntes Phänomen, dass Menschen, die kaltblütig
anderen zusetzten, selbst extrem wehleidig waren.
Frauke hielt Özden auf dem Boden fixiert und sah über die Schulter
zurück. Dort rappelte sich Georg gerade auf. Er sah Frauke an, die den Türken
festhielt, dann zu den beiden Waffen, die auf dem Boden lagen.
»Wag es nicht«, rief ihm Frauke drohend zu.
Georg sah sie aus großen Augen an. Es lag ungemein viel Ratlosigkeit
in diesem Blick. Dann nickte er.
»Ich hole Hilfe«, sagte er und verschwand im Halbdunkel seiner
Diele.
Kurz darauf kam er zurück.
»Rettungsdienst und Polizei sind verständigt«, erklärte Georg. Dann
kniete er sich neben Frauke nieder.
»Alles okay?«, fragte er, und Frauke hörte Besorgnis in seiner
Stimme.
»Nichts ist in Ordnung«, sagte sie.
Sie ärgerte sich, dass sie alle Vorsichtsmaßnahmen außer Acht
gelassen hatte. Sie war so sehr mit der Verfolgung der Spur zu Georgs Haus
beschäftigt gewesen, dass sie nicht auf etwaige Verfolger geachtet hatte. Oder
war Necmi Özden ihr gar nicht gefolgt? Sie wusste es nicht.
Der Türke hatte möglicherweise mehrere Menschenleben auf dem
Gewissen. Seine Kaltblütigkeit hatte er bei der Ermordung Giancarlo Rossis
gezeigt. An dieser Stelle endete seine tödliche Karriere. Und seine Auftraggeber
würde Frauke auch zur Strecke bringen. Nun erst recht. Eine Frauke Dobermann
machte man nicht ungestraft zur Zielscheibe.
Georg hatte sich über Özden gebeugt und besah sich das
Einschussloch. Fraukes Geschoss hatte den Körper durchschlagen und war durch
das Schulterblatt wieder ausgetreten.
Georg fasste Frauke am Oberarm und zog sie sanft zur Seite.
»Lass mich mal«, sagte er bestimmt, griff in die abgewetzte
Ledertasche, die im Fachhandel unter der Bezeichnung
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