Niedersachsen Mafia
der
ungefähr in der Mitte zwischen Herz und Schultergelenk seinen Ausgangspunkt
genommen hatte. Deutlich war das Einschussloch zu erkennen. Von dort war das
Blut ausgetreten und hatte sich großflächig rund um diese Stelle vom Stoff des
Hemdes aufsaugen lassen.
»Warum hat der Mörder nicht ins Herz geschossen?«, fragte Putensenf.
»Vielleicht war er kein Profi«, antwortete Frauke. »Oder die Distanz
war zu groß. Den Tötungswillen erkennt man aber daran.« Frauke zeigte auf den
zweiten Einschuss, bevor sie sich darüber beugte. »Aufgesetzt«, erklärte sie.
»Das ist ganz deutlich zu erkennen.«
Sie sah Putensenf an. »Ich stelle mir das so vor: Der Mörder zielt
auf Rossi, der ahnungslos im Sessel hockt. Er trifft ihn nicht ins Herz,
sondern ein wenig versetzt. Dieser Schuss hätte nicht unbedingt tödlich sein
müssen. Das erkennt auch der Täter. Deshalb tritt er an Rossi heran, beugt sich
über ihn, setzt die Waffe aufs Auge und drückt ab, um ganz sicherzugehen.«
»Das ist ja eine brutale Hinrichtung«, sagte Putensenf. Ihm war
anzumerken, dass er trotz aller Erfahrung schauderte.
»Das ist die Sprache, Putensenf, die die Organisation benutzt. Wir
haben es mit eiskalten Verbrechern zu tun.«
Putensenf schluckte.
»Wir sollten uns in den anderen Räumen umsehen«, sagte Frauke. Sie
gaben sich gegenseitig Deckung. Es war nicht anders zu erwarten gewesen. Die
Wohnung war leer.
»Benachrichtigen Sie die Kollegen«, sagte Frauke. »Spurensicherung
et cetera.« Sie zeigte auf Rossi. »Die sollen sich jeden Quadratmillimeter
seiner Kleidung vornehmen. Aus dem Schusskanal, soweit ich das erkennen kann,
ist zu sehen, dass sich der Täter über sein Opfer gebeugt hat, als er ihm ins
Auge schoss. Dabei muss er etwas
verloren haben, was wir für die DNA verwenden können. Mit Sicherheit irgendeine winzige Hautschuppe.«
»Haben wir den Fall, ich meine, bis auf diesen Mord, jetzt
aufgeklärt?«, fragte Putensenf und zeigte auf das Gewehr, das dekorativ auf dem
Glastisch lag.
»Ja«, erwiderte Frauke. »Aber anders, als die Gegenseite es uns
weismachen möchte. Ich gehe davon aus, dass dies die Mordwaffe ist, mit der
Friedrich Rabenstein erschossen wurde. Trapattoni war der Schütze. Denken Sie
daran, dass er früher Carabiniere war und mit Sicherheit eine exzellente
Ausbildung an der Waffe genossen hat. Mit der Präsentation des Gewehrs will man
uns weismachen, dass Rossi der Täter ist. Da war ein Stümper am Werk.«
Sie beugte sich über das Gewehr. »Sehen Sie? Es ist geölt, dass
jeder Oberfeldwebel seine helle Freude dran hätte, wenn seine Soldaten ihre
Waffen so pflegen würden. Ich möchte wetten, wir finden nicht eine Spur am
Gewehr. Wenn Rossi wirklich der Mörder wäre, würde es keinen Sinn machen, dass
er die Waffe gründlich reinigt und dann vor sich hinlegt.«
»Also halten Sie Rossi für unschuldig?«
Frauke schüttelte den Kopf. »Nein. Er war am Mord an Rabenstein
beteiligt. Sie erinnern sich, dass zwei Leute auf dem Motorrad saßen und einer
die Tat dirigiert hat. Das war Rossi.«
»Wie kommen Sie darauf?«
Frauke erklärte ihm ihre Gedanken zu den Verbindungen zwischen
Rossi, Trapattoni und Necmi Özden. »Es wird Fleißarbeit sein, bis wir
herausgefunden haben, über welche Handyverbindung Rossi auf der Lister Meile die
Anweisungen zum Attentat auf Rabenstein erteilt hat. Und wenn wir alle
Gespräche aus dieser Funkzelle analysieren müssen …«
Putensenf stöhnte auf. Ihm war bewusst, dass Polizeiarbeit oft aus
unendlich vielen kleinen mühevollen Schritten bestand.
»Und wer waren die Auftraggeber?«, fragte Putensenf.
»Igor Stupinowitsch ist einer der Bosse. Ich vermute, dass auch Don
Mateo Zafferano keine weiße Weste hat. Es ist kaum vorstellbar, dass Rossi Geld
gewaschen hat, ohne dass Don Mateo es mitbekam. Sehen Sie sich doch um.« Frauke
ließ ihren ausgestreckten Arm in die Runde kreisen. »Wohnt so jemand, der den
dicken Rahm abschöpft?«
Putensenf schüttelte bedächtig den Kopf.
»Wir werden noch viel zu tun haben, bis wir die Ermittlungsakten in
diesem Fall schließen können, mein lieber Putensenf.«
Ein Strahlen huschte über das zerfurchte Gesicht des
Kriminalhauptmeisters.
»Den Tag streiche ich mir im Kalender rot an«, sagte er leise. »Mein lieber Putensenf …«
Frauke ließ unerwähnt, dass sie Bernd Richter für einen wesentlich
bedeutsameren Akteur hielt, als es bisher den Anschein hatte. Außerdem gab es
noch zwei Unbekannte, über die sie
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