Niedersachsen Mafia
die Mörder wussten, wann sie
sich wo aufhielt. Es konnte kein Zufall sein, dass man hier auf sie gewartet
hatte. Sie glaubte auch nicht, dass der Mörder zufällig vorbeigeschossen und es
eigentlich ihr gegolten hatte. Wer mit einem Präzisionsgewehr so perfekt den
alten Herrn Rabenstein in die Stirn traf, hatte nicht danebengeschossen. Es war
teuflisch, was sich die Organisation ausgedacht hatte. Man hatte Frauke
gezeigt, dass man jederzeit in der Lage war, die gegen sie gerichtete
Todesdrohung umzusetzen. Sie sollte sich schuldig fühlen. Man wollte sie mürbe
machen.
Frauke ballte die Faust. »Nicht mit mir«, presste sie leise zwischen
den Zähnen hervor.
Am Tatort wimmelte es von Einsatzkräften. Ihre Mitarbeiter würden
nach Zeugen suchen, die Spurensicherung ihre Arbeit verrichten und alles
Weitere veranlassen. Die Fahndung nach den Tätern war eingeleitet, sodass
Fraukes Anwesenheit nicht länger erforderlich war. Sie ließ sich von Schwarczer
ins Hotel fahren.
»Aber, Frau Dobermann, was ist mit Ihnen geschehen?«, fragte die
Inhaberin, als Frauke blutverschmiert ins Haus kam.
»Ich hatte einen kleinen Unfall«, sagte Frauke ausweichend.
»Da müssen Sie doch ins Krankenhaus, aber nicht hierher.« Aus der
Anmerkung klang weniger Mitleid oder Anteilnahme, sondern eher der Vorwurf
heraus, in einem solchen Zustand das Hotel zu betreten. Frauke ignorierte es,
ging auf ihr Zimmer, legte die Kleidung ab und duschte gründlich. Dann legte
sie sich zehn Minuten aufs Bett, um sich zu sammeln. Anschließend wählte sie
Madsacks Handy an, aber es gab keine Neuigkeiten von der Fahndung.
»Wir haben weitere Zeugenaussagen gesammelt«, berichtete der
Hauptkommissar, »ohne dabei auf weitere Erkenntnisse gestoßen zu sein.
Lediglich, dass das Motorrad am Anfang der Straße ein Stück weiter abwärts
gegenüber dem Eckcafé gewartet hat, dürfte für Sie neu sein. Dafür gibt es
einen Zeugen, der allerdings nichts zu den Personen sagen kann.«
»Es muss einen weiteren Täter gegeben haben«, sagte Frauke, »der
mich entweder verfolgt oder vor dem Haus gewartet und seine Komplizen
benachrichtigt hat, dass der Moment günstig wäre. Ich gehe davon aus, dass von
diesem auch die Anweisung kam, auf Rabenstein zu schießen. Die gesamte
Operation wurde demnach von jemandem geleitet, der nicht mit auf dem Motorrad
saß.«
Madsack versprach, bei den Ermittlungen vor Ort diesen Aspekt zu
berücksichtigen.
Frauke überlegte ihr weiteres Vorgehen. Sie konnte sich nicht
einschließen oder gar untertauchen. Das bezweckte die Organisation. Damit hätte
man die Polizei lahmgelegt. Deshalb war es auch nicht möglich, von einem
gesicherten Unterschlupf aus die weiteren Ermittlungen zu führen. Nein! Sie
musste das Risiko eingehen und weiter so agieren wie bisher, auch wenn ihr
nicht wohl war bei dem Risiko, das damit verbunden war.
Frauke gab sich einen Ruck, stand auf, machte sich zurecht und ging
zu Fuß zum Landeskriminalamt. Unterwegs sah sie sich verstohlen um, konnte aber
weder vor ihrem Hotel noch auf dem Weg zur Dienststelle etwas Verdächtiges
entdecken.
Im Büro beschäftigte sie sich mit dem Problem der gefälschten
Arzneimittel, indem sie alle zur Verfügung stehenden Informationsquellen
anzapfte. Es war kein neues Phänomen. Die Entwicklung hochwirksamer Arzneien
verschlang enorme Kosten. Die Forschung war aufwendig. Sicher war es populär,
über die hohen Preise zu schimpfen. Dafür gab es eine sorgfältige und
gewissenhaft arbeitende Pharmaindustrie, die auf der Suche nach neuen und
wirksamen Medikamenten war. Irrtümer, die für die Betroffenen mit unendlich
viel Leid verbunden waren, erschütterten die Menschen rund um den Globus. Über
die großen Erfolge, die so viel Segen über die Menschheit gebracht hatten,
wurde weniger berichtet. »Nur eine schlechte Nachricht ist eine gute Nachricht«
schien das Leitmotiv vieler Medien zu sein. Wer sprach von der heute möglichen
Behandlung von Aids? Von den Fortschritten in der Krebsbekämpfung? Diabetes war
schon lange kein Todesurteil mehr, und viele tödliche Seuchen waren
ausgerottet. Die Menschen verließen sich auf ihre Arzneien. Und das war das
Tückische an diesem Geschäft. Die Wirkung der Arzneien trat nicht im erhofften
Maße ein.
Frauke las auch, welch riesige Gewinne die Nachahmer und Fälscher
machten. Sie hatten keinen Forschungsaufwand, sondern kopierten die Ergebnisse
anderer. Fast alle Produkte renommierter Hersteller waren betroffen,
insbesondere die
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