Niedersachsen Mafia
Arzneien, die vielen Menschen dienten, zum Beispiel
Herzmittel, Lipidsenker oder wie in diesem Fall Viagra.
Frauke entschloss sich, im Landeskriminalamt Kiel anzurufen. Die
dortige Leiterin der naturwissenschaftlichen Kriminaltechnik konnte ihr sicher
weiterhelfen.
»Frau Dobermann«, zeigte sich Frau Dr. Braun überrascht. »Sind Sie
wieder im Lande?«
»Nein. Ich bin jetzt in Niedersachsen. Ungeachtet dessen, dass die
Polizei Ländersache ist, würde ich Sie inoffiziell um Ihren klugen Rat bitten.«
Dr. Braun atmete tief durch.
»Sie wollen mir schmeicheln, aber wenn das jeder machen würde,
könnten wir hier zumachen. Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich Ihnen
sage, dass Schleswig-Holstein am wirtschaftlichen Abgrund steht. Überall muss
gespart werden. Da macht man auch bei uns nicht halt. War es früher schon
schlimm mit der Arbeitsüberlastung, so sind wir jetzt komplett eingebrochen.
Niemand glaubt mir, wenn ich einmal vortragen würde, wie viele Überstunden
meine Mitarbeiter vor sich herschieben.«
»Ich bin mir sicher, dass Sie Übermenschliches vollbringen. Ich
würde Sie auch nicht mit Lappalien behelligen, aber ich kenne niemanden, der
mir so kompetent Auskunft geben könnte.«
Für einen Augenblick war es still in der Leitung. Frauke meinte, Dr.
Braun schlucken zu hören. Dann meldete sich die Kielerin.
»Aber nur als einmalige Ausnahme. Und bitte ganz kurz.«
»Es geht um gefälschte Arzneimittel.«
»Das ist eine Erscheinung, die uns ganz viel Sorgen bereitet«, fiel
ihr Dr. Braun ins Wort.
»Haben Sie einen Schwerpunkt entlang der Oberelbe? Zwischen Hamburg
und Lauenburg?«
»Da sind in der jüngsten Zeit Auffälligkeiten zu beobachten.«
»Dann haben wir ein gemeinsames Interesse. Wir verfolgen eine Spur
auf der niedersächsischen Seite der Elbe. Ich gehe davon aus, dass es sich um
den gleichen Täterkreis handelt.«
»Uns ist aufgefallen, dass die Packung einen Fehler aufweist«,
berichtete Dr. Braun und beschrieb den Fehldruck, den auch die Niedersachsen
bemerkt hatten. »Wir haben vereinzelt Tabletten sicherstellen können. Unsere
Laboranalyse ergab, dass es sich um stark verunreinigte Imitate handelt. Es ist
schon schlimm genug, wenn den Kranken mit gefälschten Arzneien Heilung
suggeriert wird, und es liegen Placebos ohne jede Wirkung vor. Besonders
schlimm ist es aber, wenn die Medikamente tödliche Substanzen oder Wirkstoffe
in lebensbedrohlicher Zusammensetzung enthalten. Das ist hier zutreffend.«
»Haben Sie schon Quellen ausfindig machen können?«, fragte Frauke.
»Leider nicht. Die Kollegen von der organisierten Kriminalität haben
überlegt, ob sie die Öffentlichkeit einschalten sollen, um die Verbraucher zu
warnen. Man hat davon Abstand genommen, um keine Panik auszulösen und das
Vertrauen in die seriöse Pharmaindustrie nicht zu erschüttern.«
»Gibt es nicht eine einzige Spur?«
»Nichts. Zumindest ist mir keine bekannt. Die Imitate kommen häufig
aus China, meistens aber aus Indien. Dort werden sie in schmuddeligen
Hinterhoflaboratorien produziert. Bei uns würde man solche Einrichtungen
schließen, selbst wenn sie nur Schlachtabfälle verwerten würden.«
»Und die Handelswege? Wie kommt das Zeug zu uns?«
»Singapur gilt als internationale Drehscheibe für gefälschte
Arzneien. Das ist verwunderlich, da der Stadtstaat als sauber und
kriminalitätsarm gilt, kaum Korruption aufweist und eine verlässliche Polizei-
und Justizorganisation hat. Das Problem ist, dass es kaum Kontrollmöglichkeiten
gibt. Die Fälschungen tauchen sogar regulär in Apotheken auf.«
»Das ist besonders perfide, wenn Apotheker mitmischen«, empörte sich
Frauke.
»Die trifft häufig keine Schuld. Die Apotheker haben keine andere
Chance, als dem Großhandel zu vertrauen. Der Zoll hat festgestellt, dass es im
Großhandel bis zu dreißig Handelsstufen gibt, über die die Medikamente
weitergegeben werden. Die Apotheken sind arg- und machtlos.«
»Dann muss man nur den Kopf dieser Schlange ausfindig machen«, sagte
Frauke.
»Leider nicht. Wenn irgendwo in dieser Kette der unseriöse Händler
sitzt, findet die wundersame Produktvermehrung statt. Der Zwischenhändler kauft
hundert Pakete legal ein und kann dies durch Lieferpapiere nachweisen. Er
vermarktet aber zweihundert Pakete, indem er hundert Fälschungen
daruntermischt. So verwischt sich seine Spur.«
»Das muss doch auffliegen? Schließlich hat das schwarze Schaf mehr
verkauft, als er eingekauft hat.«
»Jetzt sind wir
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