Niedersachsen Mafia
noch den entspannten strahlenden Gesichtsausdruck, verunziert durch
das Loch mitten in der Stirn, aus dem hellrotes Blut pulsierte und sich über
das Antlitz verteilte. Frauke legte Zeige- und Mittelfinger der linken Hand an
die Halsschlagader des alten Mannes, während sie mit der rechten nach ihrem
Mobiltelefon angelte und automatisch die Eins-eins-zwei anwählte. Mit wenigen
Worten schilderte sie die Situation und gab eine kurze Zustandsbeschreibung des
Opfers durch. Dann wählte sie den Polizeinotruf und erzählte von der Bluttat.
Sie ersparte es sich, Anweisungen zu erteilen. Die Beamten in der Leitstelle
würden das Richtige veranlassen. Anschließend wählte sie ihre Dienststelle an
und informierte Madsack.
»Wir kommen sofort«, sagte der Hauptkommissar, ohne weitere Fragen
zu stellen.
Sie kniete sich nieder und versuchte, Anzeichen von Vitalität bei
Rabenstein festzustellen. Doch es war nichts erkennbar. Es schien, als wäre der
alte Mann sofort tot gewesen. Frauke sah sich um. Zögerlich näherten sich ein
paar Leute, denen das Entsetzen ins Gesicht geschrieben war. Ein Mann – er
mochte um die fünfzig sein – beugte sich zu Frauke herab.
»Kann ich helfen?«, fragte er und würgte dabei, als er Rabensteins
Gesicht sah.
»Versuchen Sie, die Leute fernzuhalten«, wies ihn Frauke an.
Der Mann nickte, kam aus der Hocke hoch, und sie hörte, wie er auf
die Zuschauer einzuwirken suchte, während sie erneut Rabensteins Puls am Hals
ertastete. Nichts. Der Mann gab kein Lebenszeichen von sich. Sie fühlte sich
ohnmächtig, es gab nichts, was sie hätte tun können. Vorsichtig drückte sie
Rabensteins schmächtigen Oberkörper aufs Pflaster, fuhr mit zwei Fingern von
links den unteren Rippenbogen bis zum Sternum entlang und suchte den Druckpunkt
am Brustbein. Sie fixierte die Stelle mit dem Finger, legte den Handballen
darauf, sodass Zeige- und Mittelfinger Richtung Kopf wiesen, und presste die
andere Hand darüber. Dann begann sie rhythmisch zu drücken und zählte dabei
laut. »Eins-zwei-drei …« Sie drückte den Brustkorb etwa vier Zentimeter tief
ein. Wenig später spürte sie, wie der zunächst vorhandene Widerstand nachgab,
als die Rippen brachen. Bei dreißig brach sie ab, holte tief Luft, presste ihre
Lippen auf die Rabensteins und blies zweimal den Inhalt ihrer Lungen in die des
Opfers. Dann wiederholte sie die Herzdruckmassage.
Frauke hatte aufgehört zu zählen, wie oft sie diese Prozedur
wiederholt hatte, als sie mehrere Martinshörner vernahm. Kurz darauf hielt ein
Rettungswagen der Feuerwehr, und zwei Rettungsassistenten übernahmen die
Versorgung Rabensteins, bis wenige Minuten später die Notärztin eintraf. Sie
kniete sich neben den alten Mann, legte ihr Stethoskop an und untersuchte ihn
gründlich. Dann kam sie langsam in die Höhe und sah sich um. Sie bemerkte
Frauke und sah mit einem erstaunten Aufblitzen ihrer Augen die blutverschmierte
Kleidung.
»Gehören Sie zu ihm?«, fragte die Ärztin.
»Dobermann, LKA Hannover«, erwiderte Frauke.
»Aha.« Dann zeigte sie auf Rabenstein. »Da ist jede Hilfe zwecklos.«
Sie tätschelte vorsichtig Fraukes Oberarm. »Tut mir leid.«
Mehrere uniformierte Polizisten drängten sich heran.
»Was ist hier los?«, fragte ein bullig aussehender Oberkommissar,
der die Mütze keck in den Nacken geschoben hatte. Seine Hand lag lässig auf der
Pistole an seinem Gürtel auf.
»Wir haben hier ein Attentat«, erklärte Frauke. »Erschossen. Die
Täter sind mit einem Motorrad Richtung Lister Platz geflüchtet.«
»Und wer sind Sie?«, bellte der Polizist zurück.
»Jemand, der die Sache besser im Griff hat als Sie, auch wenn Sie
hier wie John Wayne herumstehen«, mischte sich aus dem Hintergrund eine Stimme
ein. Es war das erste Mal, dass Frauke nicht böse war über Putensenfs bissige
Kommentare.
»He, was soll das denn?«, knurrte der Polizist.
»Alles in Ordnung, Kollege«, beschwichtigte ihn Madsack und hielt
dem Beamten seinen Dienstausweis hin. »Wir kommen vom Landeskriminalamt. Das
da«, er zeigte auf Frauke, »ist die Leiterin des Sonderkommissariats
organisierte Kriminalität.« Er zog den Beamten ein wenig zur Seite. »Ich
brauche Sie als Verbindung zur Leitstelle. Wie ist der Stand der Fahndung nach
den flüchtigen Tätern?«, gab er dem Polizisten Anweisungen.
»Los, Schwarczer, wir versuchen, Zeugen zu finden«, hörte Frauke
Putensenf sagen. Für einen Moment durchfuhr sie der Gedanke, dass ihre
Mitarbeiter vielleicht doch nicht so
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