Niedertracht. Alpenkrimi
sagte Nicole Schwattke draußen im Beobachtungsraum. »Ich würde das nicht so lange aushalten.«
»Von was leben Sie, Herr Winterholler?«
Plötzlich, ohne Ansatz, ohne erkennbares Atemholen, ohne die vielen Signale, die normalerweise im Bugwasser eines Satzes schwimmen, stand die Frage im Raum, wie eine Ratte war sie plötzlich auf den Tisch gesprungen, sie schnupperte und schmatzte schon, die seuchenbeladene Frageratte, bereit zuzubeißen. Genau diese Frage hatte er befürchtet. Er überlegte fieberhaft. Er wollte auf keinen Fall von seinem reichlichen und steuerfreien Einkommen erzählen, das in einer unzugänglichen Wand des Wettersteingebirges gebunkert war. Das dort so sicher versteckt war, dass nicht einmal die Mafia – – – Gut, er war vielleicht doch in irgendetwas Unsauberes hineingeraten, würde vielleicht sogar eine Strafe verbüßen müssen. Aber er hatte nicht vor, schon gleich ganz am Anfang seine sauer verdienten Ersparnisse, sein Startkapital für die Annapurna- II -Expedition preiszugeben. Und wenn er jahrelang im Gefängnis schmorte. Wie war das eigentlich? Ob Jauch wohl auch Gefängnisinsassen als Kandidaten nahm? Ob er dann mit einer Fußfessel auf dem Stuhl Platz nehmen dürfte? Stünde ein bulliger Polizeibeamter hinter ihm? Herr Winterholler, jetzt kommt eine Frage, die Sie sicher lösen können. Was ist im deutschen Recht straffrei? a) Drogenbesitz, b) Gefängnisausbruch, c) Vielehe oder d) Beleidigung des Bundespräsidenten?
»Also. Von was leben Sie, Herr Winterholler?«
»Von meinen Ersparnissen.«
»Seit zwei Jahren?«
»Ich lebe genügsam.«
»Mhm.«
In dem
Mhm
des unauffälligen Mannes war mehr Schärfe als in der grünen Meerrettichpaste beim Japaner um die Ecke.
»Ich habe ein bisschen was gespart. Und das brauche ich jetzt auf. Ich klettere. Das ist eine preiswerte Beschäftigung.«
»Warum haben Sie Geld unter dem Blumentopf im Garten versteckt?«
Wieder so eine Ratte von Satz.
»Ich musste schnell weg, die Haustür lasse ich immer offen stehen, ich hielt es für das Sicherste so.«
»Warum haben Sie es nicht eingesteckt?«
»Weil ich zum Bergsteigen gegangen bin. Gletschwanne – Trösselsteig – Hochanger – Steinköflerwand, wenn Sie es genau wissen wollen.«
»Warum haben Sie das Geld nicht in einen der vielen Rucksäcke im Keller gesteckt? Da wäre es sicherer gewesen.«
»Ich war in Eile, ich wollte vor Sonnenaufgang in der Gletschwanne sein.«
»Und da kommt es auf ein paar Minuten an? Herr Winterholler, auch ich darf ganz offen sein: So einen Schmarrn habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört. Ich erzähle Ihnen jetzt einmal eine wesentlich plausiblere Geschichte. Sie, Herr Winterholler, sprechen einsame Wanderer an, betäuben sie, verschleppen sie in Felsnischen und lassen sie dort verhungern und verdursten. Sie nehmen ihnen die Kleidung ab, weil die zu auffällig wäre. Sie nehmen ihnen die persönlichen Gegenstände ab. Sie lassen alles verschwinden. Alles, bis auf das Geld. Das Geld behalten Sie, Herr Winterholler. Warum auch nicht? Sie haben schon zwei Jahre keine Einnahmen mehr gehabt. Und bei dem, was Sie treiben, verdient man nicht viel, wenn ich das einmal so sagen darf. Was halten Sie von dieser Geschichte?«
Johnny Winterholler schwieg. Was sollte er dazu auch sagen? Der unauffällige Mann beobachtete ihn noch eine Zeit lang intensiv, dann stand er unvermittelt auf und ging zur Tür. Johnny Winterholler fand die Sprache wieder.
»Wie geht es dem Mann, den ich gefunden habe?«, fragte er.
»Den
Sie
gefunden haben? Ich höre wohl nicht richtig«, sagte der unauffällige Mann. »Es geht ihm sehr schlecht. Und gnade Ihnen Gott, wenn Sie etwas damit zu tun haben!«
Jennerwein ging hinaus ins Besprechungszimmer. Er sah Ostler schon an, dass er eine schlechte Nachricht hatte.
»Er ist tot«, sagte Ostler. »Der spitzige Pertchenscheucher steckte fest in seinem Oberschenkel, niemand von der Bergwacht traute sich zu, den Verletzten zu behandeln oder sogar zu bergen. Eine Ärztin aus dem Klinikum, eine Notfallchirurgin wurde hingeflogen und runtergelassen. Wenn Sie sie sprechen wollen, sie wartet draußen.«
Die junge Notärztin hatte sich noch gar nicht von ihrem Einsatz umgezogen. Sie steckte in einer knallroten, astronautenanzugsähnlichen Kluft.
»Ich wurde mit einem Helfer von der Bergwacht runtergelassen, und da lebte er noch«, sagte sie. »Es war verdammt wenig Platz dort unten, aber wir konnten stehen und die
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