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Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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gegangen. Dann schlendert er die Klamm hinauf, oben macht er kehrt und spaziert den Weg wieder zurück. Dann, etwa in der Mitte der Wegstrecke, gerät er in einen hochgradigen Erregungszustand. Er sprüht geradezu von hormonellen Aktivitäten, die Mückerln können sich gar nicht mehr beherrschen.«
    »Wilde Exzesse in einer Aussichtsnische der familienfreundlichen Partnachklamm? Sex and Drugs and Rock-’n’-Roll, mit gültiger Kurkarte?«
    »Etwas in der Richtung.«
    »Die Partnachklamm liegt doch nur fünf Minuten von hier, oder?«
    »Alles bei uns liegt fünf Minuten von hier.«
    »Diesem aufgeregten Schweizer steig ich nach, den schau ich mir einmal genauer an.«
    »Mach das. Ich mache inzwischen ebenfalls einen Spähgang. Aber einen eher privaten.«
    »Baba.«
    »Servus.«
     
    Schratzenstaller warf noch einmal einen Blick in die Schusterkugel. Die Archicnephia mit der blauen Markierung wuselte aufgeregt herum, der Imker verließ das Anwesen und lenkte seine Schritte in Richtung Grasberg. Der Bürgermeister war erneut dort hingegangen. Sex and Drugs and Rock-’n’-Roll – auch dort? Wohl kaum. Aber was hatte der alte Schlawiner dort zu suchen? Neun Jahre war Schratzenstaller mit diesem Bazi in die Schule gegangen. Neun Jahre waren die beiden eng befreundet gewesen, dann hatten sich ihre Wege getrennt. Der Grund dafür war ganz einfach. Die jetzige Frau des Bürgermeisters war früher einmal Schratzenstallers Freundin gewesen. Der hegte keinen Groll und keinerlei Rachegedanken, er hatte nicht vor, den Dorfschulzen zu meucheln. Er wollte nur herausbekommen, was er trieb. Er kam an der kleinen Kriegergedächtniskapelle vorbei, dann verließ er den Seniorenpfad und ging querfeldein Richtung Sankt Martinshütte weiter. Schon von weitem sah er seinen ehemaligen Freund. Der stand an exakt derselben Stelle wie beim letzten Mal, und wieder blickte er napoleonisch ins Tal hinunter. Hin und wieder gestikulierte und winkte er, als wollte er Außerirdischen die günstigste Flugbahn ins Tal zeigen. Was trieb dieser Mann? Alte Soldatenregel: Auch wenn du ganz sicher bist, dass dich niemand verfolgt hat, sieh dich um. Schratzenstaller wollte sich gerade noch etwas näher heranschleichen, da spürte er eine Hand auf der Schulter. Er erschrak fürchterlich, er erstarrte. Doch die Hand packte nicht zu, sie kniff ihn eher, sie massierte ihn fast, es war eine wohlvertraute Hand, eine kleine, warme Hand, eine Hand aus der Vergangenheit.
    »Was treibst du denn da, Alois?«
    »Das könnt ich dich auch fragen.«
    »Ich geh ein wenig spazieren.«
    »So, so, spazieren gehst du.«
    »Lang ists her.«
    »Das kannst du laut sagen.«
    »Oder eben nicht.«
    Beide mussten lachen.
    »Du – spionierst deinem Mann hinterher?«
    »Spionieren ist der falsche Ausdruck. Ich frag mich nur, was er macht. Aber du bist doch auch nicht zufällig hier?«
    »Hier gibts ganz gute Schwammerl.«
    »Ich habe meiner Lebtag noch keine Schwammerl in dieser Gegend gesehen.«
    Sie schwiegen eine Weile und schauten dem außer Hörweite deklamierenden Bürgermeister zu.
    »Ich habe einen Verdacht«, flüsterte sie schließlich.
    Wieder schwiegen beide.
    »Kannst du dich noch erinnern: Schlittenfahren, den Grasberg herunter.«
    »Und dann in den John’s Club.«
    Die Frau des Bürgermeisters drehte sich plötzlich um und ging grußlos davon. Schämte sie sich dafür, dass sie Tränen in den Augen hatte? Sie hatte denselben wiegenden Gang wie vor zwanzig Jahren. Ihr Glockenrock verdeckte kaum ihre braungebrannten, festen Waden – auch Schratzenstaller drehte sich jetzt abrupt um und bewegte sich in Richtung Bürgermeister. Er wischte sich etwas aus dem Auge. Blödes Baumharz, murmelte er. Er fand Deckung hinter ein paar mächtigen Tannen, doch der Bürgermeister war so in seine fluglotsenartigen Tai-Chi-Bewegungen vertieft, dass er selbst ein halbes Dutzend ungeschickt raschelnde Pfadfinder nicht bemerkt hätte. Schratzenstaller kam jetzt so nahe, dass er die Worte des Bürgermeisters deutlich verstehen konnte. Schratzenstaller hörte eine Weile zu. Sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich.
     
    Swoboda hatte sich als holländischer Wandervogel verkleidet. Er trug ein Regencape, einen breitkrempigen Südwester und Turnschuhe, damit fiel er in der gischtsprühenden Partnachklamm als Tourist nicht weiter auf. Er stand in einer Ausbuchtung, von der man einen guten Blick sowohl die nassen Wände hinauf wie auch die tosende Klamm hinunter hatte. Zudem konnte man den

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