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Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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vorsichtig!«, rief Nicole durchs Funkgerät.
    Stengele antwortete nicht. Stengele kletterte. Als er den Blick wieder nach oben richtete, hatte er eine Stange des Gitters direkt über sich. Der Käfig war leer.
     
    »Alles haben sie dir genommen, nicht einmal einen Teddybären haben sie dir gelassen«, flüsterte der Putzi dem Kind ins Ohr. »Aber ich werde dir einen neuen geben, an einem neuen Platzerl, an einem schöneren Platzerl, glaubs mir.«
    Es war stockdunkel in dem Stollen, er hatte den Holzverschlag sorgsam verschlossen, es drang kein Lichtstrahl herein. Verdammt nochmal, wie um Gottes Willen hatten die ihn gefunden? Das ging doch nicht mit rechten Dingen zu! Der Putzi hatte gerade noch rechtzeitig in die Röhre verschwinden können. Das war doch pervers: Er musste die kleine Elevin wieder aus dem Paradies herausholen! Das Kind war erneut eingeschlafen, vielleicht hatte es die Dunkelheit schläfrig gemacht. Es hatte aufgehört zu schreien, es hatte dann nur scheppernd geschluchzt, geröhrt und war schließlich verstummt.
    »Ja, schlaf nur, mein liebes Maderl, schlaf nur. Ruh dich ein bisserl aus von allem.«
    Der Stollen war nicht mehr als vierzig Meter lang. Er war so breit und hoch, dass man gebückt gehen oder auf allen Vieren durchkriechen konnte. Es gab zwei oder drei Ausbuchtungen, wo man etwas lagern konnte, der Putzi erinnerte sich gar nicht so genau daran, wie viele Ausbuchtungen es waren. Er hatte die Röhre nicht gebaut. Sie war schon da gewesen, und er hatte sie nur gut in Schuss gehalten. Er hatte sie aufgehoben für das Opfer aller Opfer. Und es hatte bisher so gut geklappt. Bis jetzt war alles so wunderbar gelaufen. Er setzte das Kind in die letzte der Ausbuchtungen und machte sich daran, die Steinplatte aufzustemmen, die den Eingang zum Stollen verschloss, der auf den kleinen freien Platz draußen führte. Nur hundert Meter entfernt davon stand sein Jeep auf dem Aussichtsplateau inmitten der Touristenbusse.
     
    »Das gibts doch nicht, Stengele! Sehen Sie genau nach!«
    »Das tue ich gerade.«
    Stengele rüttelte von unten am Gitter, es war verrostet, aber fest im Fels verankert. Es war eine geräumige Nische, geräumiger als die anderen. Sie war vier mal vier Meter breit und mannshoch. In der Höhlendecke steckte der übliche Haken. Er musste schon jahrelang dort befestigt sein, denn er war vollkommen verrostet. Stengele zog sich noch weiter hoch und betrachtete ihn genauer. An einer Stelle war er etwas abgeschabt. Hier konnte vor kurzem ein Karabiner drangehängt worden sein. Aber der Haken selbst? Die Rostschicht war, genauso wie beim Gitter, millimeterdick, sie blätterte an vielen Stellen ab. Das Gitter war nicht ganz waagrecht befestigt worden, er stieg nach außen schräg an. Stengele hangelte sich an die höchste Stelle, dort war ein Loch im Gitterwerk ausgesägt worden, und zwar erst vor kurzem, denn die Schnittstellen waren noch frisch. Stengele atmete durch. Er schaffte einen waghalsigen Klimmzug und stieg schließlich völlig außer Puste durch die Öffnung in den Käfig. Und jetzt erst bemerkte er den primitiven Holzverschlag im Felsen, der anscheinend ins Innere des Berges führte. Er rüttelte daran. Verschlossen.
     
    Am anderen Ende der Röhre stemmte sich der Putzi gegen die Felsplatte. Von hier bis zur Aussichtsplattform und seinem Jeep waren es weniger als hundert Meter. Dann musste er eben den Plan ändern und das Kind woanders hinfahren. Oder sollte er es hierlassen? Sie würden es finden, gewiss. Aber das kleine Wutzerl würde ihn ja nicht verraten können. Oder doch? Jetzt hatte er die Platte gelöst, sie ließ sich dann leicht nach außen drehen. Er schob die Platte zur Seite, das Tageslicht blendete ihn. Und dann kam urplötzlich, ohne jede Vorwarnung, eine schwarze, breitflächige Schaufel auf ihn zugeflogen. Hätte er den Kopf nicht weggezogen, hätte ihn die Kohlenschaufel voll getroffen. So spürte er bloß einen stechenden Schmerz an der Schulter. Der Putzi war so verdutzt, dass er kurz innehielt. Und noch mal kam die Schaufel auf ihn zu. Er hielt seine Hände schützend vors Gesicht, das federte den Schlag etwas ab.
    »Du Drecksau du! So wie deinem Vater soll es dir gehen! Muss ich euch alle zwei erschlagen!«
    Er hörte die Stimme seiner Mutter, und er hörte einen dritten Schlag mit der Schaufel. Der traf aber jetzt bloß noch die Platte, die der Putzi wieder zugezogen hatte. Sie krakeelte weiter, sie brüllte und fluchte, doch er hörte die Stimme jetzt

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