Niedertracht. Alpenkrimi
Kopf des Berges war zerklüftet und von vielen Höhlen und Nischen durchsetzt.
»Ideales Terrain!«, schrie Stecher.
»Fliegen Sie die Wand ab«, schrie Jennerwein zurück. »So langsam es geht.«
Alle starrten gebannt auf den Bildschirm. Nichts. Nur zerfasertes Grau, und nackter, zerklüfteter, von Millionen Regengüssen ausgewaschener Fels.
»Lassen Sie mich unten am Bergfuß raus!«, schrie Jennerwein. »Und suchen Sie die Wand nochmals ab. Bitte. Irgendwo in dieser zerklüfteten Felswand müssen das Kind und vielleicht auch der Täter stecken.«
»Idee!«, gellte Hauptmann Stecher. »Wärmebildkameras!«
»Das würde uns sehr helfen. Gute Idee.«
Der Hubschrauber war unten am Bergfuß angekommen, er schwebte zwanzig Zentimeter über dem Boden. Stengele, Ostler und Jennerwein sprangen heraus. Nicole Schwattke blieb im Hubschrauber, um zu koordinieren. Hölleisen und Maria waren die Strecke über die Seefelder Bundesstraße mit dem Polizeiauto gefahren. Auf dem Rücksitz saßen die blassen Eltern des Kindes und hielten sich an den Händen. Maria hatte dankbar genickt, als Jennerwein ihr diesen Teil der Aktion zugewiesen hatte. Der Hubschrauber stieg wieder nach oben, Stengele, Ostler und Jennerwein gingen den Wandfuß entlang, jederzeit bereit, eine grausige Entdeckung zu machen. Sie fanden nichts.
»Ich bin mir sicher, dass das Versteck des Mädchens hier zu finden ist«, sagte Jennerwein. »Meine Kontaktperson schien mir zwar nicht besonders vertrauenswürdig, aber er war sich sehr sicher. Ich glaube ihm.«
»Jemand aus dem Ort?«
»Nein, ein Holländer. Und vermutlich nicht einmal das.«
Sie machten kehrt und gingen die Strecke nochmals ab, diesmal etwas weiter von der Wand entfernt. Plötzlich bückte sich Stengele.
»Braves Mädel, brauchst doch nicht zu weinen, kleiner Spatz. Es wird ja alles wieder gut.«
Der Putzi saß auf dem Gitter und beugte sich über das Kind, das wohl jetzt endgültig aus seinem Lachgasschlummer aufgewacht war. Bei seinen Selbstversuchen mit dem Betäubungsmittel hatte er keine größeren Beschwerden nach dem Aufwachen verspürt. Vielleicht ein ganz leichtes Kopfweh, das aber bald wieder verflogen war. Ein ganz leichtes Kopfweh! Vielleicht war das für die Vierjährige ein ganz großes Kopfweh. Er massierte ihr den Kopf, er streichelte sie an Stirn und Schläfen. Er versuchte sie abzulenken. Er sang ein Kinderlied. Aber Heidschi, bumbeitschi, bum bum. Der Putzi hatte eine schöne, sonore Stimme, und das Kind hörte ihm kurz zu, dann brach es wieder in Tränen aus. Aber Heidschi, bumbeitschi, das war nicht der richtige Weg. Der Putzi wusste aus seiner eigenen Kindheit, was eine gute Ablenkung war: Es musste etwas Vertrautes, Bekanntes sein. Er suchte nach dem Teddybären. Der musste doch hier irgendwo liegen.
Mit ein paar schnellen Schritten waren Jennerwein und Ostler bei Stengele. Sie betrachteten das zerknautschte Stofftier, das er vom Boden aufgenommen hatte, und blickten nach oben in die Wand. Sie war schwer einsehbar, zudem behinderten einige herausstehende abgestorbene Baumstümpfe die Sicht.
»Hallo, hört mich jemand?«, rief Stengele ins Funkgerät. »Ich klettere da jetzt hoch. Wenn Sie mit der Wärmebildkamera etwas gefunden haben, geben Sie mir Bescheid.«
»Das mache ich«, antwortete Stecher. »Wenn Sie noch zehn Minuten warten, können wir Fangnetze unter Ihnen aufspannen. Gehören zur Standardausrüstung des VX 2–29. Sie können vom Hubschrauber aus angebracht werden.«
»Vergessen Sie die Fangnetze. Ich will keine weiteren zehn Minuten warten«, rief Stengele.
Und schon hing er in der Wand. Fangnetze, dachte er. Solch eine Ausrüstung wie die beim Militär müsste man haben. Aber sofort konzentrierte er sich wieder auf den Fels und die direkte Linie nach oben. Sie hatten vereinbart, den Funkverkehr erst bei Erfolgsmeldung wieder aufzunehmen. Stengele legte an Tempo zu. Er kam zu einem unübersichtlichen Felsverhau, der Weg führte ein paar Meter unter eine schräg nach oben gerichtete Felsnase. Er kletterte in einer Geschwindigkeit, in der er noch nie geklettert war. Dann blickte er nach oben.
»Ich habs gefunden!«, schrie er ins Funkgerät. Er versuchte seine Stimme ruhig zu halten, es gelang ihm nicht. »Die Nische befindet sich unter einem nach außen steigenden Felssporn. Die Öffnung ist unten vergittert. Ich kann mich auch täuschen, aber ich glaube, im Inneren des Käfigs hat sich was bewegt. Ich sehe mal nach.«
»Seien Sie
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