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Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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um ihre Antennen, ihre fein gewirkten Riechzellen beben zu lassen. Und wenn irgendwo ein Feigenkaktus stand, dann waren auch besonders schmackhafte und dünnhäutige Exemplare von Säugern nicht weit. Da bestand auch die Aussicht, in straff gespannte Häute feister Nackenwülste zu stechen, dass das warme Blut tröpfchenweise heraussickerte. Die Archicnephia speichelte merklich, so sehr hatte sie Appetit bekommen.
     
    Doch sie flog nicht für sich allein, sie war Kundschafterin für ihren Stamm. Als sie durchs offene Fenster ins Innere des Zimmers schoss, zeichnete ihr Hexapodenhirn minutiös all die Wege und Gerüche, die Biegungen und Geruchslandschaften auf – für die Kameradinnen, für die Nachwelt, für die ganze Gattung. Und hätte sie Ohren gehabt zu hören, dann hätte sie die kratzige Stimme des Padrone Spalanzani vernommen, der sich gerade eben wieder einmal an einer Marlon-Brando-Imitation versuchte.
    »Ein wunderbares Projekt, Luigi«, heiserte er. Spalanzani beugte sich etwas vor, so dass sein Kragen nach unten rutschte und seine Nackenwülste frei lagen.
    »Nenn mir ein paar Details.«
    »Ihr Interesse beschämt mich«, sagte Luigi Odore, einen Ticken zu devot. Der Padrone blickte ihm in die Augen. So wie die Kriebelmücke ein paar Moleküle des Kaktusfeigensaftes kilometerweit riecht, so roch Spalanzani allzu große Eilfertigkeit schon im Ansatz. Und allzu große Eilfertigkeit gefiel ihm nicht. Und noch etwas anderes gefiel ihm nicht. Wie war es möglich, dass diese Viecher ihren Weg hierhergefunden hatten, in ein absolut todsicheres Versteck? Dieser Odore hatte etwas Interessantes herausgefunden. Aber auch etwas Gefährliches. Er musste beobachtet werden.
    »Ich habe«, fuhr Luigi fort, »schon vor längerer Zeit einen ehemaligen Imker und Hobby-Insektenforscher in einem kleinen verschnarchten Ort in Süddeutschland aufgetan. Er und sein Vater haben über Jahre hin Aufzeichnungen gemacht. Da sich jedoch niemand dafür interessiert hat, haben sie schließlich die Lust an den Experimenten verloren. Der Vater ist inzwischen gestorben, aber der Sohn ist genau der richtige Mann für uns.«
    Der Padrone beugte sich vor und schlug mit der flachen Hand auf seinen Nacken. Verdammte Insektenplage diesen Sommer. Aber nein, das waren ja sicher wieder diese lästigen Kundschafter. Die kleinen Spione kamen an den sichersten Ort der Welt, und keiner merkte es. Eine prickelnde Sache. Aber auch eine höchst bedenkliche Sache.
    »Wie willst du weiter vorgehen, Luigi?«
    Odore strahlte. Der ganze Aufwand, die monatelange Entwicklungsarbeit hatte sich offenbar gelohnt.
    »Wir wollen dieses System vor Ort testen.«
    »Wir? Du arbeitest nicht allein?«
    »Leider nicht. Mein Deutsch ist dazu nicht flüssig genug. Auch beherrsche ich diesen komischen Dialekt nicht, den sie ganz im Süden von Deutschland sprechen. Ich habe einen geeigneten Mann aufgetrieben, der sich in der Gegend jenseits der Alpen auskennt, dort jedoch glücklicherweise nicht bekannt ist.«
    Luigi Odore winkte einem drahtigen Mann Mitte Dreißig, der lässig in der zweiten Reihe gestanden hatte. Bisher hatte man nur seine scheinbar ziellos von Punkt zu Punkt springenden Augen bemerkt. Jetzt trat er einen Schritt vor. Die dünnen Haare waren entgegen allen Moden streng in die Fünfzigerjahre zurückfrisiert, die Gesichtshaut war fleckig und die Ohren spitz. Das markante Kinn war von einem dünnen Geißbart bedeckt, der aufgeklebt wirkte. Er war aufgeklebt.
     
    Vor einiger Zeit war der Österreicher Karl Swoboda bei der Familie in Ungnade gefallen, aber es hatte sich schnell herausgestellt, dass seine großen organisatorischen und logistischen Fähigkeiten dringend gebraucht wurden. Er war ein Problemlöser, ein
risalvatore
, einer jener freien Mitarbeiter, wie ihn jede international agierende Firma brauchte.
     
    »Karl Swoboda, wenn ich mich richtig erinnere«, sagte der Padrone wohlwollend. »Dieser Name hat einen guten Klang. Die Familie ist stolz darauf, so einen Mann exklusiv in ihren Reihen zu haben.«
    Karl Swoboda nickte. Wenn du wüsstest, dachte er. Exklusiv – von wegen! Aber bei Spalanzani namentlich in Erinnerung geblieben zu sein war wertvoller als die geladene Uzi im Handgepäck. Die Bekanntschaft mit dem Padrone konnte aber auch nach hinten losgehen, wie der Schuss aus einer Uzi.
    »Habe die Ehre«, sagte Swoboda. »Das Kompliment mit dem guten Namen kann ich nur zurückgeben.«
    Luigi Odore trat einen Schritt vor. Er wollte sich durch

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