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Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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leicht zu lösen. Die meisten Opfer hängten sich deshalb auch nachts wieder an. Dieser Idiot aber hatte den Haken herausgerissen. Der Putzi hätte ihn intelligenter eingeschätzt, den siebengescheiten Computerfuzzi, der beim Spaziergang auf dem leicht ansteigenden Feldweg von sich behauptet hatte, das Leben logisch und mit kühlem Kopf anzugehen. Nach eigenen Angaben war er Softwareentwickler gewesen, und jetzt hatte sich Holger gleich zu Beginn seines zweiten Lebens diesen verhängnisvollen Fehler geleistet.
     
    Den Putzi schauderte es. Was sollte er jetzt tun? Er musste hinuntersteigen, ins Tal, er musste am Bergfuß unten nach dem abgestürzten Mann suchen. Den Putzi überlief es heiß und kalt. Es blieb ihm wahrscheinlich nichts anderes übrig, als ihn zu begraben. Das hatte er noch nie im Leben gemacht. Ob er das schaffte? Er hoffte, dass er ihn an Ort und Stelle begraben konnte und ihn nicht noch lange transportieren musste. Denn wie der Körper nach einem Fall aus ein paar hundert Metern Höhe aussah, das konnte er sich schon vorstellen. Er hatte sich bisher gar keine Gedanken gemacht, was denn geschehen würde, wenn wirklich einer spränge. Er hatte eine vage Vorstellung, dass dann der Versuch beendet sein würde. Aber es war ja bisher noch keiner gesprungen. Dieser Stümper war abgestürzt. Das brachte seinen Tagesablauf vollkommen durcheinander. Am Morgen hatte er wie immer seinen Routinegang gemacht, zum Grab des Vaters dackeln, Kerzen anzünden, dann war er zur Kuhflucht gelaufen und hatte die Gemse gegrüßt. Dann war er zum Philosophenweg gegangen, in die kleine St.-Anton-Kirche. Dort hatte er für jedes seiner Opfer eine Kerze angezündet. Sollte er die Nische von Holger nochmals verwenden? Warum eigentlich nicht? Aber erst dann, wenn er dessen Leiche von dort unten weggeschafft hatte. Der Putzi packte seine Sachen zusammen, achtete peinlich genau darauf, dass er nichts zurückließ, und machte sich auf den Weg nach unten. Er überlegte fieberhaft. Der Körper war durch den Aufprall sicherlich in einem Zustand, bei dem sich die Tiere des Waldes sofort über ihn hermachten. Das hoffte er zumindest. Er würde bis morgen warten. Die gütige Mutter Natur, Samsara, die wachsame Hüterin des beständigen Wanderns, sorgte hoffentlich auch in diesem Fall dafür, dass sich die zwölfgliedrige Kette des bedingten Entstehens lindernd und reinigend über das Geschehene im Tal legte.
     
    Aber verdammt nochmal, dieser Kommissar Jennerwein ging ihm langsam auf die Nerven. Der brachte alles durcheinander. Dass der mit einem Riesenteam hier anrückte, damit hatte er auch nicht gerechnet. Klar, irgendwann einmal würden sie die Felsengräber entdecken, dann musste er seine Versuchsreihe ohnehin aufgeben. Aber bis dahin wollte er seine Beobachtungen natürlich weiterführen, auch wenn die Ermittlungen auf Hochtouren liefen. Er fiel bestimmt nicht auf in der Menge der vielen Wanderer und Kletterer hier im Werdenfelser Land. Er hatte ohnehin vor, sich Harrigls Truppe der besorgten Bürger anzuschließen. Vielleicht wäre es gar nicht schlecht, noch einen Schritt weiterzugehen und eines der Bergopfer selbst der Polizei zu melden. Nicht anonym, sondern ganz offen, mit gespieltem Entsetzen. Dann käme doch kein Mensch mehr auf die Idee, dass er etwas mit den Wiedergeborenen zu tun hatte! Und er konnte in Ruhe weiterarbeiten. Zwei Novizen hatte dieser Kommissar Jennerwein schon von den Bergen geholt. Wer weiß, was er mit ihnen anstellte, anstatt sie in Frieden ruhen zu lassen. Diesem Jennerwein musste er eine Warnung zukommen lassen. Etwas, das ihn dazu brachte, ehrfürchtiger mit seinen Schützlingen umzugehen. Der Putzi hatte auch schon eine Idee, und die Idee nahm nun rasch Gestalt an. Das wog den Unfall von vorhin durchaus auf. Darüber hätte er fast vergessen, bei einer Weggabelung in Richtung Punzerhöfle weiterzugehen. Als er an einer Wiese vorbeikam, sah er eine Frau auf einer Bank sitzen. Sie spielte mit einem Kind von vielleicht vier oder fünf Jahren. Das Kind riss sich los und lief lachend und singend mit einem Teddybären im Arm über die Wiese. Es lief dahin und dorthin, es hatte keinen Plan, es machte das, was ihm gerade einfiel. Bald pflückte es Blumen, bald deutete es hoch zu einer Wolke. Solch ein unschuldiges, unverdorbenes Wesen, dachte der Putzi. Solch ein Bündel an Kraft und purer Lebensfreude, das da auf der Wiese herumtollt! Da hat die Zivilisation noch keine Spuren hinterlassen, das ist die

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