Niedertracht. Alpenkrimi
hat bloß gesagt, dass es etwa ein Jahr alt ist.«
»Tattoostecher machen nicht einfach ihren Servus drauf. Sie verstecken ihre Unterschrift oft in einem Buchstaben.«
»Echt? Das wusste ich nicht.«
»Gibt es ein Foto von dem Tattoo?«
»Michelle – das geht nun wirklich nicht.«
»Ich will es ja nur mal anschauen. Nicht rumzeigen. Vielleicht fällt mir was auf.«
»Na gut. Geh nochmals zum Revier und frage Kommissarin Nicole Schwattke. Sag ihr aber, ich hätte dich geschickt.«
»Parole?«
»Wie?«
»Haben Sie keine Parole? Sonst könnte ja jeder kommen und sagen, Jennerwein hätte ihn geschickt.«
»Also gut, sie fragt, ob du meinen Handyklingelton kennst. Er ist
Und den Martini bitte geschüttelt, nicht gerührt
.«
»Aus James Bond? Ist ja cool.«
Jennerwein ließ ein paar Münzen auf dem Tisch liegen und ging mit dem Mädchen hinaus auf die Straße.
»Und noch was, Michelle.«
»Ja?«
»Arbeite bitte nicht auf eigene Faust. Versprichst du mir das?«
»Natürlich.«
»Es ist momentan wichtiger, den Täter zu stoppen, als die Identität der bisherigen Opfer zu erforschen.«
Michelle verabschiedete sich artig. Insgeheim war sie ein bisschen enttäuscht. Sie hatte noch eine Idee, die wollte sie dem Kommissar aber nicht verraten. Man müsste dazu einen Peilsender auftreiben. Man müsste ihn so am Körper verstecken, dass ihn der Täter nicht findet. Dann müsste man in den Bergen ein bisschen spazieren gehen. Jennerwein blickte Michelle beunruhigt nach. Irgendetwas heckt die aus, dachte er. Er rief Nicole an und gab ihr die James-Bond-Parole durch.
»Was soll das?«
»Nachwuchsarbeit, Nicole.«
Der nachmittägliche Brotzeitansturm in der Bäckerei war zu Ende, Harrigl war mit seinen Getreuen weitergezogen, Jennerwein ging noch mal hinein in das verwaiste Café.
»Wollen Sie noch was, Herr Kommissar?«, fragte die Verkäuferin. »Eine Rechnung für die Cola vielleicht? Oder eines von diesen Werdenfelser Weckerln?«
»Nein, ich möchte für fünfzehn Minuten ins Internet.«
»Wenn Sie eine halbe Stunde nehmen –«
Jennerwein schaute die Verkäuferin scharf an. Das wirkte.
»Ist ja schon gut.«
Der Kommissar wählte einen Computerplatz aus, bei dem ihm so leicht niemand über die Schultern schauen konnte. Er loggte sich ein, rief seine Mails ab und beantwortete die wichtigsten. Wie immer, wenn er an einem öffentlichen Computer saß, googelte er auch noch den Begriff
Akinetopsie
. Dafür wollte er weder sein eigenes Notebook noch das Ungetüm von Computer auf dem Revier benützen. Die Liste der Ergebnisse erschien, es gab keine wesentlich neuen Informationen über diese Krankheit. In den USA hatte sich eine Selbsthilfegruppe gebildet, er klickte sich auf deren Homepage. Er bemerkte gar nicht, dass Maria wieder zurückgekommen war und neugierig auf den Bildschirm lugte.
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tyrolienne, f.
1. Tirolerin, 2. Gleitseilbahn, 3. Jodler
Dt.-franz. Lexikon
Auf diesem Spazierpfad war der Putzi schon oft unterwegs gewesen, er hätte ihn mit verbundenen Augen gehen können. An einer ganz bestimmten Stelle kletterte er ein paar unwegsame Steilhänge hoch, erreichte eine bewaldete kleine Hochebene und richtete sein Fernglas auf die gegenüberliegende Felswand. Diesmal war er zur rechten Zeit gekommen. Dort, in fünfhundert Meter Entfernung, bewegte sich etwas. Das Paar klobiger Bergschuhe, das aus der Nische ragte, zappelte in unregelmäßigen Abständen. Holger war aufgewacht. Der Putzi nannte den Eintritt der Opfer in ihren neuen und letzten Lebensabschnitt
Die Wiedergeburt
.
Im Geschäft seiner Mutter hatte er einige Bücher gefunden, die sich mit genau diesem Thema beschäftigten. Reinkarnation, Rückführung, Wiedergeburt oder wie immer man das nennen mochte. Die Upanishaden und der Hinduismus haben ihm besonders gut gefallen. Aber was diese Inder und Tibeter veranstalteten, das war doch nichts gegen das, was er seinen Schützlingen bot! Er schenkte ihnen ein zweites Leben, das auf eine Entscheidung reduziert war: Springen oder Bleiben. Durchhalten oder Aufgeben. Festhalten oder Loslassen. Er hatte auch schon daran gedacht, ob er den Novizen den Aufenthalt im Fels nicht verlängern sollte, indem er ihre Rucksäcke mit ein paar Notrationen bestückte. Das würde er beim nächsten Mal ausprobieren. Die Bergschuhe dort drüben zappelten jetzt stärker, stießen auch bald einen größeren Stein herunter, der lautlos in die Tiefe fiel. Er konnte ihn nicht ganz nach unten fallen sehen, denn
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