Niedertracht. Alpenkrimi
drauf.
Die Leute im Laden lachten. Es waren sämtlich Menschen zwischen Mitte fünfzig und Mitte sechzig, alle aufgewachsen in Zeiten, in denen es chic war, dass der Kasperl dem bösen Polizisten eins mit der Pritsche draufgab. Die Anwesenheit eines Vertreters der Staatsmacht war ein gefundenes Fressen für sie, eine kleine Reminiszenz an alte Zeiten. Das grundsätzlich Anarchistische des Bajuwaren brach sich hier in der Gemüsehandlung Bahn.
»Das täte uns aber jetzt schon interessieren, was die arme Frau Altmüller ausgefressen haben soll«, sagte ein verhutzeltes Weiberl mit einem riesigen Haarknoten im Nacken, die Sechste in der Reihe. »Hat sie vielleicht Gemüse verkauft über dem Ablaufdatum? Oder genveränderte Schwammerl angeboten?«
»Ja, groß genug wären sie ja, die Schwammerl, die sie da immer hat.«
Gelächter, Gekicher. Wie sollte Ostler da eine ernsthafte Verhaftung durchführen?
Frau Altmüller war heute gut gelaunt. Sie stach der Hafer. Sie spielte das Spiel mit. Sie kreuzte beide Handgelenke neckisch übereinander und hielt sie dem geplagten Polizeiobermeister hin.
»Ja, verhaften Sie mich, Herr Ostler. Ich wars, ich gebs zu. Wie viel werd ich kriegen? Fünf Jahre? Zehn Jahre?«
Diese Frau schien nichts von dem Falschgeld in ihrer Kasse zu wissen. Oder sie war ultra-abgebrüht. Das traute ihr Ostler allerdings nicht so recht zu.
»Herrschaft, Frau Altmüller, sind Sie doch vernünftig. Ich habe ein paar Fragen an Sie. Und die würde ich Ihnen gerne ungestört stellen, sonst nichts.«
»Nein, ich wollte eh’ schon lang einmal in einem Polizeiauto sitzen.«
Sie zog ihre Schürze aus, warf sie theatralisch in die Ecke, nahm die riesige Glocke vom Ladentisch auf und läutete. Dann kreuzte sie die Handgelenke wieder übereinander und ging an der Reihe vorbei, auf die Eingangstür zu. Ostler lief ihr nach, beschwichtigend, wie er meinte. Draußen vor dem Geschäft hielt ein Auto mit quietschenden Bremsen, zwei Leute sprangen heraus, einer davon mit gezücktem Fotoapparat. Die Lokalpresse, gerufen von einem aufmerksamen Bürger. Jetzt gab es für Frau Altmüller kein Halten mehr.
»Ich bin verhaftet!«, schrie sie und öffnete die Eingangstür, »ich bin in der Gewalt der Schergen.«
»Was ist los, Mutti?«, fragte ein mürrisch aussehender Mann Mitte dreißig, der aus dem hinteren Teil des Ladens gekommen war.
»Mach du derweilen weiter«, sagte Frau Altmüller und ging auf das Polizeiauto zu. »Meine Rechte! Was ist mit meinen Rechten! Belehren Sie mich!« Der Vertreter der freien Presse knipste wie wild.
»Gut, wenn Sie wollen«, sagte Ostler. »Dann steigen Sie bitte ein, Frau Altmüller.«
Als sie drinnen saß, sah sie sich neugierig im Wagen um. Sie betastete einen Gummiknüppel und eine Kelle, die auf dem Rücksitz lagen.
»Ich müsste Ihnen eigentlich dankbar sein, Herr Ostler. Dann muss er endlich auch was arbeiten, der Bub. Hängt dauernd hinten im Internet.«
Ostler lugte ins Geschäft. Der junge Mann dort drinnen werkelte missmutig herum, griff jetzt ins Regal und holte Bananen hervor.
»Warum spannen Sie ihn dann nicht öfter ein, Frau Altmüller?«
»Der hat doch zwei linke Hände. So, jetzt ist es genug mit dem Spaß, jetzt lassen Sie mich wieder raus.«
»Frau Altmüller – äh – das ist kein Spaß.«
Ostler drehte sich um und erklärte ihr, weswegen er hier war. Die Gemüsehändlerin schlug die Hand vor den Mund. Und Ostler dachte: So schlägt nur ein völlig Unschuldiger die Hand vor den Mund.
Der missmutige Mann kam heraus und klopfte an die Scheibe des Polizeiautos.
»Mutti, sag, wo sind denn die Lorbeerbäumchen?«
»Im zweiten Regal rechts«, seufzte Frau Altmüller und sah ihren Sohn genervt, aber doch liebevoll an. Vielleicht wird ja doch noch was aus ihm.
39
jodelkurs
sennerin taub
schade
Haiku von Mishima Shūusaku
Jens Milkrodt war ein sportlicher Zweimetermann, sein Markenzeichen war eine uralte Schiebermütze, er trug einen Rucksack, der prall gefüllt war mit zerlesenen Büchern und Prospekten. Die Einmerkzettel wuchsen aus den Romanen heraus, als wären sie immer wieder frisch gedüngt worden. Jens Milkrodt, eigentlich Professor Doktor Milkrodt, war landesweit bekannt durch seine
Literarischen Spaziergänge
, die er dort durchführte, wo sich Künstler und Bohemiens sammelten: in München. Manchmal aber verließ er diese gewaltige Gemütlichkeit, die dort herrschte, und schwärmte in andere Stätten aus, in denen Literaten gewirkt
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