Niedertracht. Alpenkrimi
Komme-gleich-wieder- mit dem Geschlossen-Schild und zog sich um. Sie legte ihr gutes, ihr bestes Gewand an, dann ging sie in die Kirche und zündete dort ein paar Kerzerln an. Für ihren Putzibuben eines. Und für jedes der Bergopfer eines. Vielleicht wars ja doch nicht wahr. Vielleicht konnte man alles wegbeten. Als sie wieder heimkam, rührte sie Gips an und spachtelte die Löcher auf dem Findling zu. Jetzt fielen die Löcher erst recht auf. Sie nahm eine Farbtube mit der Aufschrift Chamois № 5 und übermalte die weißfleckigen Stellen. Sah sowieso besser aus.
Ostlers Mobilfunkgerät klingelte. Er bedeutete allen zu schweigen.
»Was? Der Empfang – ist ganz schlecht! – Sag das noch mal!«
Er legte auf, das ganze Team starrte ihn erwartungsvoll an.
»Die Bergwacht. Sie haben ihn. Wahrscheinlich auf frischer Tat ertappt.«
»Wo?«
»Am Steinköflerberg.«
»Auf gehts!«, sagte Kommissar Jennerwein.
43
Impressionistischer Jodler
Zuerst hatte der Putzi ziemlich geflucht. Sein ganzer Zeitplan war durcheinandergekommen. Aber er wusste natürlich auch, dass man beim Bergsteigen nichts auf die Sekunde genau planen konnte. Er hatte gelernt, von Fall zu Fall zu entscheiden. Die Improvisationskunst gehörte zur Bergausrüstung wie die Brotzeit, der eiserne Wille, das karierte Hemd und die Feder am Hut. Bei der Aktion mit diesem unscheinbaren Kommissar und der spindeldürren Psychologin hatte er auch improvisieren müssen – und es hatte alles wunderbar geklappt. Die waren vermutlich fürs Erste einmal außer Gefecht gesetzt.
Er war jetzt am Bergfuß angelangt. Er lehnte sich an den heißen Fels und verschnaufte ein wenig. Hier führte kein bequemer Wanderweg entlang, er musste sich durch dichten Latschenbewuchs kämpfen, und hinter jedem neuen Latschenbüschel, das er zurückbog, musste er befürchten, auf die unkenntliche Leiche dieses tollpatschigen Softwareentwicklers zu stoßen. Trotzdem lächelte der Putzi zufrieden. Wie schlau war er doch schon wieder gewesen! Was für einen großen Fehler hatte er vermieden! Er hatte eben
nicht
bei der Polizei angerufen und die Leiche Holgers gemeldet. So hatte er es eigentlich vorgehabt. Aber niemand konnte aus der Ferne eine Leiche am Boden liegen sehen, wenn der Bewuchs so dicht war. Er hätte sich durch den Anruf nicht aus der Reihe der Verdächtigen katapultiert, er hätte sich ganz im Gegenteil erst richtig verdächtig gemacht. Von wo aus haben Sie die Leiche gesehen, woher wussten Sie aus dieser Entfernung, dass er schon tot war, was haben Sie in dieser Gegend überhaupt zu suchen – das wären lauter Fragen gewesen, bei denen er böse ins Schlingern gekommen wäre. Die Sonne brannte herunter, der Putzi wischte sich mit dem Sacktücherl den Schweiß von der Stirn. Bei jedem Latschenzweig, den er zurückbog, musste er sich auf einen ausgesprochen unschönen Anblick gefasst machen. Er ging zwanzig Meter an der Wand entlang, das war der Bereich, innerhalb dessen Holger abgestürzt sein musste. Doch er fand ihn nicht. War der Körper tatsächlich schon von Tieren weggetragen worden? Aber es gab doch in diesen Breiten keine Wölfe oder Bären, die einen ganzen Menschen schleppen konnten. War es möglich, dass der Kadaver von kleineren Waldbewohnern an Ort und Stelle aufgefressen worden war – restlos, und ohne ein Knöcherl zu hinterlassen? Waren es Ameisen? Aber in so kurzer Zeit? Der Putzi ging die zwanzig Meter nochmals ab. Wieder nichts. Das wäre ja gleich doppelt peinlich gewesen, wenn er der Polizei einen Absturz gemeldet hätte, und man hätte dann niemanden hier unten gefunden. Oder war die Leiche aus irgendeinem Grund weiter hinausgeschleudert worden? Dieser Holger bereitete ihm nichts als Schwierigkeiten, auch über seinen Tod hinaus. Von Anfang an war es schon kompliziert gewesen mit ihm. Ein Computerfuzzi, der etwas von einem einsamen und inspirierenden
sabbatical weekend
erzählt hatte, er ließ sich leicht und schnell betäuben – aber er war schon nach fünf Minuten wieder aus der Narkose aufgewacht. Er war irgendwie resistent gegen das Lachgas, der Putzi hatte ihm das Tuch insgesamt fünfmal ins Gesicht drücken müssen. Deshalb hatte er dann später vielleicht auch so lange geschlafen. Der Putzi blieb an einer Stelle stehen, die ausnahmsweise frei von Latschenbewuchs war. Er lehnte sich an die Felswand, die schroff und steil hinaufführte auf die Steinköflerspitze. Er senkte den Kopf, um sich zu konzentrieren. Was er heute noch
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