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Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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schien er ganz in Ordnung zu sein, der komische Bayer, den sie kaum verstand. Er hatte ihr seine Telefonnummer gegeben, vielleicht sollte sie ihn anrufen, wenn sie schon mal da war. Ja, das würde sie machen, morgen vielleicht, eher übermorgen. Oder noch heute Abend.
    »Kennen Sie diesen Mann?«
    Nein, wer ist das, noch nie gesehen, ist der wichtig?
     
    Einmal hätte sie fast
Kennen Sie diesen Idioten?
gesagt, es war wirklich allerhöchste Zeit, die Suche aufzugeben und die Sache zu vergessen. Sie ging durch den Ort, ihre zielstrebigen Schritte wandelten sich zum Schlendern, sie steckte das Foto weg, die Schritte wurden wieder schneller und zielgerichteter, sie ging jetzt zur Talstation der Wankbahn. Vielleicht einen allerallerletzten Versuch noch? Damit sie nicht das Gefühl hatte, etwas versäumt zu haben. Damit ihr dieses Gefühl nicht wie Kaugummi am Schuh klebte. Sie fuhr mit der Seilbahn hinauf, ging dort oben in einen der Berggasthöfe, kann ich die Chefin sprechen bitte? Sie kommen von ganz oben im Norden, das hört man gleich, wie bitte heißen Sie? Nele Tienappel, wirklich komischer Name. Als ob Ihre Namen hier besser sind: Grasegger, Hölleisen, Wotzgössel. Da haben Sie recht. Wann können Sie anfangen? Gleich? Umso besser, da hinten ist ein Dirndl von der Vorgängerin, vielleicht passen Sie rein. Haben Sie überhaupt schon einmal bedient?
     
    Sie war zwar studierte Kommunikationswissenschaftlerin, aber jetzt war sie eben Bedienung. Sie bediente Touristen, Menschen wie sie selbst, blonde, staksige Ostseenixen. Sie hatte das zerschlissene Foto auf DIN -A-4 hochkopiert, sie hängte es mit dem Einverständnis der Chefin gleich am Eingang des Lokals auf. Wer kennt diesen Mann, bitte melden Sie sich unter folgender Nummer. Einige der Gäste betrachteten das Foto neugierig, manche machten sich darüber lustig. Eine Familie hängte einen Zettel daneben: Katze entlaufen. Sie bekam Anrufe von Wahrsagerinnen und Wünschelrutengängern.
     
    Der Schankkellner, der hier oben im Berggasthof arbeitete, hatte ebenfalls Kommunikationswissenschaften studiert. Er war groß gewachsen wie sie, er war blond wie sie, er war ein großgewachsener blonder Bayer mit einer markanten Nase und einem mächtigen, herrlich unmodernen Backenbart. Seine Augen gingen ins Bodenlose, seine Stimme war warm und samtig, seine Hände konnten beherzt zupacken. Nach und nach gingen seufzende Blicke hin und her, Wangen röteten sich, Handinnenflächen wurden schweißnass. Sie hieß Nele Tienappel, er hieß Manfred Werlberger, sie fuhren jeden Abend gemeinsam hinunter ins Tal. Irgendwann nahm sie das Foto ab.

42
    Expressionistischer Jodler
    Es klopfte an der Tür.
    »Herein!«, rief Kommissar Jennerwein, und Maria Schmalfuß betrat das Krankenzimmer. Sie trug einen gepunkteten Bademantel und einen dicken Schal. Ihre Augen waren gerötet.
    »Danke«, sagte sie leise.
    »Schon gut«, sagte Jennerwein. »Jeder an meiner Stelle –«
    »Ich danke Ihnen eher dafür«, unterbrach Maria, »dass Sie meine – wie soll ich sagen – Unpässlichkeit nicht erwähnt haben.«
    »Warum sollte ich? Wir fassen erst einmal diesen Kerl, um kleine Unpässlichkeiten kümmern wir uns nach Abschluss der Ermittlungen.«
    Maria schwieg verlegen. Auf dem Nachtkästchen stand eine Vase. An eine der drei offenbar kunstvoll angeordneten Seerosen hing ein Zettel mit der Aufschrift:
    Gute Besserung für ›Kashami‹ Jennerwein,
    dem Meister der Äußersten Grenze!
    Von der Tai-Chi-Abteilung des Polizeisportvereins Weilheim.
    Maria wollte gerade etwas sagen, als sie draußen auf dem Flur lärmende Stimmen vernahmen. Die gutgelaunten Teamkollegen brachen herein und verwandelten das Krankenzimmer vollends in ein Blumenmeer.
    »Danke für Ihre Anteilnahme«, sagte Jennerwein lachend. »Mir geht es allerdings viel zu gut für den Aufwand. Ich habe ja nicht mal einen Kratzer. Frau Doktor doch wohl auch nicht?«
    »Einen Schnupfen, eine harmlose Erkältung, wegen allzu leichter Bekleidung im Freien, weiter nichts.«
    Jennerwein richtete sich auf.
    »Ich freue mich natürlich sehr über Ihren Besuch. Danke für die Blumen. Trotzdem habe ich angesichts der dramatischen Ereignisse das dringende Bedürfnis, hier und jetzt eine spontane kleine Dienstbesprechung anzusetzen. Das würde meine Gesundung sehr fördern. Ich bin nämlich ehrlich gesagt ausgesprochen wütend.«
    »Das sind wir auch, Chef. Es hätte uns alle –«
    »Ja klar, aber der Warnschuss hat eindeutig mir gegolten.

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