Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
Verhältnisse ließen dies jedoch nicht zu. In den 1940er Jahren, als Dänemark von deutschen Truppen besetzt war, begegneten sich Bohr und Heisenberg erneut in Kopenhagen – die persönlichen Freunde standen sich als politische Feinde gegenüber, und das Gespräch zwischen ihnen, das von Atomwaffen handeln sollte, artete in eine nachwirkende und bedauerliche Katastrophe aus.
Wir schreiben aber noch Anfang der 1920er Jahre. Heisenberg und Bohr führten ihre ersten gemeinsamen Gespräche in Göttingen und Kopenhagen, wobei der damals schon erfolgsverwöhnte Heisenberg zunächst Mühe hatte, sich an das Leben im Bohr’schen Institut zu gewöhnen, wie er selbst schreibt: »Ich sah mich plötzlich einer großen Zahl glänzend begabter junger Menschen aus aller Herren Länder gegenüber, die mir an Sprachkenntnissen und Weltgewandtheit weit überlegen waren und die in unserer Wissenschaft viel gründlicher beschlagen waren als ich.« (Heisenberg, Der Teil und das Ganze )
Ihn ärgerte zudem, dass Bohr zunächst nur wenig Zeit für den neuen Gast aufbrachte und viel Verwaltungsarbeit zu erledigen hatte. Doch dann tauchte er plötzlich in Heisenbergs Zimmer auf, um ihn zu fragen, ob sie nicht zusammen eine Wanderung über die Insel Själland unternehmen sollten. Dabei gebe es mehr Möglichkeiten zu ausführlichen und ungestörten Gesprächen als im Institut.
Auf ihren Wanderungen erörterten die beiden Physiker nicht nur Fragen hinsichtlich der Atome und ihrer Gesetze. Sie sprachen immer wieder auch über die politisch-militärischen Ereignisse, durch die Deutschland und Dänemark verbunden waren, wobei Bohr betonte, dass die Machtausweitung des Kaiserreichs im Jahr 1864 viel und immer noch anhaltende Bitterkeit bei seinen Landsleuten hervorgerufen habe. Doch bald wandte sich die Aufmerksamkeit der Wanderer wieder der Atomtheorie zu, die ihnen trotz aller Erfolge, etwa der Bohr’schen Quantenzahlen, noch sehr unvollkommen und unbefriedigend zu sein schien.
Heisenberg kehrte nach Göttingen zurück, weil er dort als Assistent von Max Born arbeitete, der später ebenfalls in die Gilde der
Nobelpreisträger für sein Fach aufgenommen wurde. Im Frühjahr 1925 gelang dem damals Vierundzwanzigjährigen dann der entscheidende Fortschritt, der der Menschheit die neue Form der Physik beschert hat, auf die man schon lange gewartet hatte. Der junge Physiker hielt sich damals allein auf der Insel Helgoland auf, um einen Heuschnupfen auszukurieren. In der Abgeschiedenheit der Insel erholte sich nicht nur sein Körper, sondern auch sein Geist, und der selbstvergessene Heisenberg erfuhr im Lauf einer Nacht, was man als mythisches Einheitserlebnis bezeichnen kann. Er durchschaute – buchstäblich – plötzlich seine mathematischen Ableitungen und sah durch sie hindurch, welche Ordnung die Natur den Atomen gegeben hat und welche Symbole diese darstellen können. Heisenberg ist es nicht nur gelungen, eine nicht ganz stimmige mathematische Gleichung durch eine bessere zu ersetzen. Der entscheidende Aspekt seiner Leistung besteht darin, dass er eine ganz andere Art von Gleichung aufgestellt und mit ihr der mathematischen Beschreibung der Natur eine bislang unbekannte Dimension gegeben hat: Das Erschließen dieser neuen Dimension stellt den eigentlichen Geniestreich in der Wissenschaft des 20. Jahrhunderts dar.
Würde man einen Vergleich mit der Kunst wagen, so könnte man sagen, dass alle Bilder der Natur vor Heisenberg in Schwarz-Weiß gehalten waren. Mit ihm kam die Farbe ins Spiel. Wenn der Vergleich feiner und genauer sein soll, könnte man sagen, dass Heisenberg für die Physik das bedeutet, was Leonardo da Vinci für die Malerei war. Vor da Vinci bemühten sich die Maler darum, die Konturen eines Gesichts möglichst genau zu zeichnen und auch zu zeigen. Leonardo überließ diese Formwahrnehmung und die damit verbundene Gestalterkennung dem Betrachter selbst.
Vor Heisenbergs Durchbruch handelte jede mathematische Formulierung eines physikalischen Problems von real in der Außenwelt existierenden und messbaren Größen, die wie Zahlen zu behandeln waren. Es ging in den Gleichungen zum Beispiel um Geschwindigkeiten, Massen und Volumina, und niemand erwartete, dass sich dies jemals ändern würde. Was sollten denn Naturgesetze anderes sein als Verbindungen zwischen Größen, die es in der Natur
gibt? Nach Heisenbergs Errungenschaft sah die Welt aber völlig anders aus. Seine Gesetze handeln von dem, was ein Wissenschaftler über
Weitere Kostenlose Bücher