Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
Beta-Zerfall nachdachte, kannten die Physiker zwei Wechselwirkungen, die durch physische Massen als Schwerkraft (Gravitation) und durch positive und negative Ladungen als elektromagnetische Kraft in Erscheinung traten. Sie vermuteten allerdings schon länger, dass es noch eine dritte Kraft geben müsse, die im Atomkern für den Zusammenhalt der dort versammelten positiven Ladungen zu sorgen hatte – sie wird heute starke Kernkraft oder starke Wechselwirkung genannt. Doch damit war der Beta-Zerfall nicht zu erklären. Deshalb schlug Fermi vor, die beobachtete Instabilität auf die Wirkung einer vierten Kraft zurückzuführen, die etwas anderes tun sollte als die Wechselwirkungen, die man bislang kannte. Fermis »schwache Kernkraft« sollte die Dinge nicht stabilisieren, sondern sie im Gegenteil lockern und ihnen die Möglichkeit des Umwandelns geben – ein Vorgang, der auch zu den natürlichen Prozessen gehört und zum Beispiel auf der Sonne stattfindet. Zwar galt der Gedanke als verrückt und revolutionär, aber an diese radikale Situation war man in Physikerkreisen schon gewöhnt. Bald erwies sich Fermis Idee als wegweisend.
Heute bildet die schwache Kernkraft mit den anderen dreien ein Viererschema, das modern und archaisch zugleich ist. Bereits die Antike erklärte die Welt durch vier Elemente – Feuer, Erde, Wasser, Luft. Die Moderne behauptete, das Ganze bestünde aus vier Elementarteilchen – dem Neutron, dem Proton, dem Elektron und dem
Neutrino. Pythagoras hätte an dem Schema seine Freude gehabt, galt ihm doch die Vierzahl (die Tetraktys) als heilige Zahl, die zum Verständnis der Dinge beiträgt. Übrigens fand Wolfgang Pauli Gefallen daran, dass einige seiner Beiträge zur Physik – die Einführung des Spins und die Vermutung eines Neutrinos – ebenfalls mit der Zahl vier verknüpft waren: eine vierte Quantenzahl und ein viertes Elementarteilchen.
Die vier Kräfte und ihre Auswirkungen
Art der Wechselwirkung
Auswirkung
Starke Wechselwirkung
Hält den Atomkern zusammen
Elektromagnetismus
Hält die Stoffe zusammen
Schwache Wechselwirkung
Sorgt für Atomzerfall und Umwandlung
Gravitation
Hält das Weltall zusammen
Dieser Zustand mit den vier Elementarteilchen ist inzwischen komplizierter geworden. Im heutigen Verständnis der Physiker kommen die Wechselwirkungen selbst durch eigene Wirkteilchen zustande. Sie stellen sich in ihrem sogenannten Standardmodell einen Austausch von (eher virtuellen) Partikeln zwischen (eher realen) Teilchen vor. Diese Wirkteilchen werden unterschiedlich benannt – zum Beispiel als Gluonen (vom englischen »to glue«, »kleben«). Um das zu veranschaulichen, kann man entweder an zwei Menschen denken, die Federball spielen oder sich ein Frisbee zuwerfen und durch das Spiel eng miteinander verbunden sind, oder man kann sich zwei Menschen vorstellen, die Argumente austauschen. Für die schwache und die starke Wechselwirkung, deren Reichweite so begrenzt ist, dass sie nur im Zentrum der Atome wirkt, benötigt man nicht einen, sondern mehrere Spielbälle. Für die Kräfte, die in die Welt hineinreichen und sie umfassen, reicht jeweils einer. Das Teilchen (»Graviton«) für die Schwerkraft ist dabei bislang noch jeder experimentellen Falle entkommen.
Das Tröpfchenmodell
Fermis Erfolg machte seine Landsleute stolz. Man richtete speziell für ihn eine Professur für Theoretische Physik an der Universität Rom ein. In politisch ruhigeren Zeiten wäre er wohl auf diesem angenehmen und gut ausgestatteten Posten bis zu seinem Lebensende geblieben. Aber seine Frau Laura war jüdischen Glaubens, wodurch sie Repressalien durch das Mussolini-Regime ausgesetzt war, nachdem sich Italien 1936 mit Nazideutschland verbündet hatte. Fermi wollte deshalb möglichst rasch in die USA auswandern. Doch er konnte sein Vorhaben erst in die Tat umsetzen, als man ihm – dank aktiver Einflussnahme seitens Bohrs – im Voraus die Nachricht zukommen ließ, er würde mit dem Nobelpreis für Physik für das Jahr 1938 ausgezeichnet werden. Verdient hatte Fermi die Auszeichnung vor allem, weil ihm etwas aufgefallen war, das bei Bohrs Beiträgen zum Verständnis der Kerne noch eine bedeutende Rolle spielen sollte und das die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften für die Ehrung etwas kryptisch als die »Entdeckung der durch Neutronen ausgelösten Kernreaktionen« bezeichnete. Auf jeden Fall verfügte Fermi durch die Preisverleihung über die finanziellen Mittel, die ihm und seiner Frau einen
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