Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
Neuanfang in den USA ermöglichten. Fermi arbeitete zunächst an der Columbia University in New York, dann an der Chicago University, wo er eine Professur für Kernphysik innehatte. Im Sommer 1944 zog er mit seiner Familie nach Los Alamos (New Mexico), um im geheimen Atomforschungslabor der USA zu arbeiten, ehe er sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Kernforschungszentrum an der Chicago University wieder mit der Grundlagenforschung beschäftigte. Nach einer Europareise 1954 erkrankte er an einem Magenkarzinom, woran er noch im selben Jahr verstarb.
Der Nobelpreis wurde Fermi für die Entdeckung vergeben, dass Neutronen, wenn sie verlangsamt und abgebremst werden – etwa indem man sie von ihrer Quelle aus durch Wasser oder Graphit leitet –, einen Atomkern sehr viel besser und effektiver treffen, als wenn sie mit ihrer normalen Geschwindigkeit unterwegs sind.
Tatsächlich zeigte sich, dass solche langsamen (oder thermischen) Neutronen ihr Ziel so leicht treffen konnten, als ob sich der Kern auf einmal 100-fach ausgedehnt habe. (Man stelle sich ein Fußballtor vor, das mit einem Mal über hundert Meter hoch und breit ist, wenn der Ball nur langsam genug darauf zufliegt.) Die Physiker konnten damals bereits abschätzen, über welchen geometrischen Durchmesser ein Atomkern verfügt, und aus dieser Zahl ließ sich berechnen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Neutron ihn traf.
Kein Wunder, dass die Forscher äußerst überrascht waren, als sich zeigte, dass die langsamen Neutronen mit einer Effektivität eingefangen wurden, die weit höher als der erwartete Wert lag. Dieses Phänomen bezeichneten sie als Resonanzstreuung, weil es da offensichtlich zu einem Wechselspiel zwischen dem Kern und den elementaren Kügelchen gekommen war, die – anschaulich gesprochen – auf ihn trafen. Bohr sprach sogar von einem »Resonanzeinfang«. Er stellte sich ab 1936 vor, dass ein Neutron, das auf einen (schweren) Kern trifft, von diesem Gebilde erst empfangen und dann so festgehalten wird, dass es dabei »zur Bildung eines Zwischensystems mit beträchtlicher Stabilität« kommt. Derart drückte er seine Idee einmal in einem Vortrag vor der Kopenhagener Akademie aus; heute ist sie in den Lehrbüchern unter dem Stichwort »Compoundkern« zu finden. Dieser Ausdruck charakterisiert einen vorübergehenden Resonanzzustand, in dem einem Kern ein Teilchen hinzugefügt worden ist und alle Bausteine des Kerns so miteinander in Bewegung sind wie die Mitglieder einer Tanzgruppe, die sich an den Händen halten und umeinander drehen, und zwar so lange, bis sie sich nicht mehr an die Art und Weise erinnern, wie sie zusammengekommen sind und wer sich zuletzt bei ihnen eingefunden hat.
Resonanzen treten bekanntlich immer auf, wenn es sich um Dinge handelt, die schwingen können – etwa eine Schaukel, auf der wir jemanden in Schwung bringen, oder die Saite einer Geige, die ihren Ton erklingen lässt. Bohr nahm bei seinen Überlegungen an, dass Atomkerne mit ihren Protonen und Neutronen Schwingungszustände einnehmen, was bedeutet, dass er sich die Quanten-zustände der Kerne völlig anders vorstellte als die der Elektronenhülle der Atome. In der Folge entwickelte er ein Modell, das einem mikroskopischen Planetensystem mehr oder weniger entgegengesetzt war und in einem Atomkern so etwas wie einen extrem winzigen Tropfen Flüssigkeit annahm. Man konnte sich vorstellen (und nachrechnen), wie sich ein solcher Tropfen durch Hinzufügen von ein klein wenig mehr Flüssigkeit kurz aufblähte und dann den Zustand einnahm, den Bohr als Compoundkern identifiziert hatte. In einer 1936 gehaltenen Vorlesung zeigte Bohr zur Veranschaulichung seiner Gedanken einen Satz von Billardkugeln, der sich auf einer Schale mit einer untertassenförmigen Vertiefung befand. Diesem System wurde nun von außen eine weitere Kugel hinzugefügt – Bohr ließ sie durch ein Queue hineinstoßen –, deren Energie ausreichte, um jede der vorhandenen Kugeln aus der Vertiefung zu lösen und nach außen entkommen zu lassen. Die Wirkung der eingeschossenen Kugel – eines Neutrons im physikalischen Versuch – sollte aber nicht auf diese Weise verlaufen, also nicht dadurch, dass ihre Energie auf eine der vorgefundenen Kugeln übertragen wurde, sondern dadurch, dass sie auf alle verteilt wurde. Bohr zufolge kam es zu der beobachteten Resonanz, wenn »sich der Energieüberschuss des einfallenden Neutrons in Wirklichkeit schnell auf alle Kernpartikel verteilt«, was zu der physikalischen
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