Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
Lichtenergie der Sonne einzufangen, und in den Zellen sind dazu viele Chlorophyllmoleküle als Antennen aufgereiht. Wenn sie Licht bekommen, strömt die Energie anderen Zellstrukturen zu, die als photosynthetische Reaktionszentren bezeichnet werden und mit deren Hilfe die benötigte Umwandlung von Kohlendioxid in den Zucker gelingt, mit dem die Zellen sich ernähren und Stoffwechsel betreiben.
Seit den 1930er Jahren besteht der Verdacht, dass dieser Vorgang nur mithilfe der Quantenmechanik verstanden werden kann. Denn immerhin sorgen die einfallenden Photonen dafür, dass Elektronen angeregt werden und in dieser Form – technisch: als Exzitonen – ihr Reaktionszentrum erreichen. Seit einigen Jahren weisen immer mehr Versuche daraufhin (vgl. etwa Philip Ball), dass bei dieser Bewegung eine besondere Quanteneigenschaft, die Kohärenz, eine zentrale Rolle spielt. Sie erlaubt es den Elektronen, ihre – aus dem im Text erörterten Doppelspaltexperiment bekannten – Welleneigenschaften auszunutzen und sich mehr als einen Weg zum anvisierten Reaktionszentrum offen zu halten. Zwar galt bislang der Grundsatz, dass bei Raumtemperatur zu viele Wechselwirkungen in einer Zelle stattfinden, die diesen Quantenzusammenhalt aufbrechen würden. Aber inzwischen scheint gerade der umgekehrte Gedanke Fuß zu fassen. Es sieht so aus, als ob die Schwankungen des
zellulären Milieus dafür sorgen, dass das Aufbrechen der Kohärenz bei den durch Lichteinfall angeregten Elektronen verhindert wird und dadurch die Photosynthese effektiver in Gang kommt und verlässlicher in Betrieb bleibt. Ein Gedanke, der Romantikern gefallen würde.
»Licht und Leben« – ganz grundsätzlich
In seiner Kölner Rede von 1962 ging Bohr zwar auf viele moderne Einsichten der Biologie nach 1932 ein, er kommentierte aber leider weder Delbrücks Wende zur Wahrnehmung, noch ging er seinen frühen konkreten Hinweisen – wie etwa denen zur Bedeutung der Quanten beim Sehen – weiter nach. Er äußerte jedoch eine tröstliche Zuversicht: »Das Leben wird immer ein Staunen sein; aber die Balance zwischen dem Staunen und dem Mut, nach Verständnis zu streben, ist es, die sich verschiebt.«
Außerdem erinnerte er an eine zentrale Überzeugung, die er zuerst 1932 in Kopenhagen vorgetragen hatte, die er in Köln bekräftigte und die an die Zeit anknüpft, als er in jungen Jahren den biologischen Gesprächen seines Vaters zugehört hatte. Diese Überzeugung besteht darin, »dass das Vorhandensein von Leben an sich als eine Grundtatsache in der Biologie angenommen werden müsse, im gleichen Sinne wie das Wirkungsquantum in der Atomphysik als ein Grundelement betrachtet werden muss, das nicht auf klassische physikalische Begriffe zurückgeführt werden kann«.
In der ursprünglichen Fassung von »Licht und Leben« aus dem Jahr 1932 hatte Bohr diesen Gedanken ähnlich ausgedrückt, wobei er ihn im Anschluss an die Frage vorgestellt hatte, ob eine physikalische Untersuchung (von toter Materie) und eine biologische Untersuchung (von lebender Materie) überhaupt verglichen werden können. Immerhin gibt es für »die Notwendigkeit, das Untersuchungsobjekt am Leben zu halten«, in der Physik kein Gegenstück. Daraus zog Bohr eine Lehre, die im Folgenden ausführlich zitiert wird, um zu zeigen, wie vorsichtig er sich schriftlich auszudrücken
pflegte. Er wollte keine Sätze publizieren, die man als falsch erkennen konnte.
In Bohrs Sicht und Worten
würden wir zweifellos ein Tier töten, wenn wir versuchten, eine Untersuchung seiner Organe so weit durchzuführen, dass wir den Anteil der einzelnen Atome an den Lebensfunktionen angeben könnten. In jedem Versuch an lebenden Organismen muss daher eine gewisse Unsicherheit in Bezug auf die physikalischen Bedingungen, denen sie unterworfen sind, bestehen bleiben; und es drängt sich der Gedanke auf, dass die geringste Freiheit, die wir in dieser Hinsicht den Organismen zugestehen müssen, gerade groß genug ist, um ihnen zu ermöglichen, ihre letzten Geheimnisse gewissermaßen vor uns zu verbergen. Von diesem Gesichtspunkt aus muss die Existenz des Lebens als eine Elementartatsache aufgefasst werden, für die keine nähere Begründung gegeben werden kann und die als Ausgangspunkt für die Biologie genommen werden muss, in ähnlicher Weise, wie das Wirkungsquantum, das vom Standpunkt der klassischen mechanischen Physik aus als ein irrationales Element erscheint, zusammen mit der Existenz der Elementarpartikel die Grundlage der
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