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Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Titel: Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
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reden kann«. Gerade diese Eigenschaft der neuen Physik erinnerte ihn an die Weisheit der Chinesen, die die Wahrheit nur in Erzählungen und Anekdoten aussprachen. Bohr erzählte in diesem Zusammenhang gern die Legende von den drei Philosophen, denen ein Schluck Essig (»Lebenswasser« auf Chinesisch) mit der Frage gereicht wurde, wie er ihnen schmecke. Der Erste sagte: »Es ist sauer.« Der Zweite sagte: »Es ist bitter.« Der Dritte sagte: »Es ist frisch.« Dies war die Antwort von Laotse. Ihm gehörte Bohrs Sympathie.

KAPITEL 8

In der Sphäre des Politischen
    Als Bohr 1932 mit seiner Familie in das Kopenhagener »Haus der Ehre« einzog, war er eine Person des öffentlichen Lebens geworden, auf die seine Landsleute stolz waren. Als Ehrenbürger des Staates fiel ihm und seiner Frau Margrethe unter anderem die Aufgabe zu, Repräsentanten verschiedener Königshäuser und Staatsoberhäupter aus zahlreichen Ländern einzuladen und zu bewirten. Dieser Verpflichtung kam das Ehepaar Bohr aber erst nach, nachdem es in der Carlsberg Mansion Sir Ernest Rutherford und seine Gattin empfangen hatte. Der Physiker, der über die Kernstruktur der Atome gearbeitet hatte, war 1924 zum Ritter geschlagen und 1931 in den Adelsstand erhoben worden. Er nannte sich nun Baron Rutherford of Nelson.

Ein Elfenbeinturm der Wissenschaft
    Der »Kopenhagener Geist«, den Bohr in die Theoretische Physik einführte und in seinem Institut durch seine offenherzige und unverstellte Persönlichkeit vorlebte, brachte eine intellektuell brodelnde und geistig angespannte Gemeinschaft von Menschen zusammen, die nicht nur aus vielen europäischen Ländern – einschließlich der Sowjetunion – kamen, sondern die den Weg dorthin auch aus Japan, Indien und Amerika gefunden hatten. »Kein Weltkrieg, keine politischen Fehden, nichts konnte die grundlegende Einheit dieser Gruppe stören, deren Mitglieder sich stets als ›Priester einer Kirche‹ fühlten«, beschrieb der aus Wien stammende Victor Weisskopf den »Geist« einmal. Weisskopf und die anderen Wissenschaftler bewunderten,
wie Bohr es als Paterfamilias und Primus inter Pares zugleich schaffte, von nahezu allen geliebt zu werden und einen »Geist unbeschreiblicher Freude« zu schaffen, in dem man sich stets ermutigt und nie entmutigt fühlte; in dem man sich unverdrossen daranmachen konnte, »eine neue Disziplin zu schaffen, frei von Konventionen, voll Humor und nicht ohne einen Hauch von Verachtung für den Rest der Welt, aber voller Ehrfurcht für die Größe der offenen Fragen«. Man kooperierte und diskutierte auch die schwierigen politischen und persönlich bedrückenden Themen, aber unter Bohrs Losung: »Manche Dinge sind so ernst, dass man darüber nur scherzen kann.«
    Alle, die in den 1920er Jahren bis zum »Wunderjahr« 1932 am »Kopenhagener Geist« partizipieren durften, beschrieben Bohr als großartigen Wissenschaftler und gefühlvollen Menschen, der neben dem zähen Willen, mit dem er dem Wissen nachstrebte, auch »ein Gefühl für die Welt hatte, in der er lebte«. Weisskopf führt diese Bewunderung für Bohr weiter aus: »Früher als anderen wurde Bohr bewusst, dass die Atomphysik eine entscheidende Rolle in der Zivilisation und für das Schicksal der Menschen spielt und spielen wird – dass die Wissenschaft also nicht vom Rest der Welt abgetrennt werden kann.« Nach 1933 sollte sich dies rascher und brutaler als erwartet zeigen. »In den 1930er Jahren zerbrach der Elfenbeinturm der reinen Wissenschaft« in allen Ländern, so Weisskopf, was unter anderem die dramatische Folge hatte, dass aus dem Deutschland der Nationalsozialisten plötzlich zahlreiche Flüchtlinge nach Kopenhagen kamen und um Hilfe in persönlichen Belangen und Förderung in ihrer Forschung baten.
    Gewöhnlich hat der Begriff des »Elfenbeinturms« eine negative Konnotation, da man darunter einen geistigen Ort der Abgeschiedenheit und Unberührtheit von der Welt versteht, in den sich die Wissenschaftler verkriechen, um unter sich zu bleiben und die Kommunikation mit den Medien und den Bürgern zu meiden. Nichts könnte aber weiter von der Wahrheit entfernt sein als dieses festgefahrene Vorurteil. Als der Begriff »Elfenbeinturm« zum ersten Mal verwendet wurde – im 19. Jahrhundert –, diente er als Symbol
sowohl für die sittliche Reinheit als auch für die selbstgewählte Isolation eines Künstlers oder Wissenschaftlers, »der in seiner eigenen Welt (nur seinem Werk) lebt, ohne sich um Gesellschaft und

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