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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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erglaubte, der Verstorbenen auf diese Weise Ehre zu erweisen.
    Dann ging er zu ihr hin, drückte ihr die Augen zu, legte ihr die Hände kreuzweise über die Brust und strich ihr das dünne,
     graue Haar aus dem Gesicht.
    Es kam ihm gar nicht mehr in den Sinn, bange vor ihr zu sein. Er war so von Herzen traurig, daß sie ihr Alter so in Einsamkeit
     und Sehnsucht hatte verleben müssen. Jetzt wollte er wenigstens diese Nacht bei ihrem entseelten Körper wachen.
    Er suchte nach dem Gesangbuch, und als er es fand, setzte er sich hin und las ein paar Gesänge halblaut. Aber mitten im Lesen
     hielt er inne, weil er an seine eigenen Eltern denken mußte.
    Ach, daß sich Eltern so nach ihren Kindern sehnen können! Das hatte er nie geahnt. Ob die daheim sich auch wohl nach ihm sehnten,
     so wie sich die alte Frau gesehnt hatte?
    Der Gedanke machte ihn froh, aber er wagte nicht, daran zu glauben. Er war nicht so gewesen, daß sich jemand nach ihm sehnen
     konnte.
    Aber was er nicht gewesen war, konnte er werden.
    Rings um sich her sah er die Bilder der Fortgereisten. Es waren große, starke Männer und Frauen mit ernsten Gesichtern. Da
     waren Bräute mit langen Schleiern und Herren mit seinen Kleidern, und da waren Kinder, die lockiges Haar hatten und schöne,
     weiße Kleider. Und er fand, daß sie alle zusammen blind in die Luft hinausstarrten und nicht sehen wollten.
    »Ihr Ärmsten!« sagte der Junge zu den Bildern. »Eure Mutter ist tot. Ihr könnt es nicht wieder gutmachen, daß ihr von ihr
     gereist seid. Aber meine Mutter lebt.«
    Hier hielt er inne und nickte und lächelte vor sich hin. »Meine Mutter lebt!« sagte er. »Mein Vater und meine Mutter leben
     beide!«

XVII. Vom Taberg bis Husquarna
    Freitag, den 15. April.
    Der Junge wachte fast die ganze Nacht, aber gegen Morgen schlief er ein, und da träumte er von seinem Vater und seiner Mutter.
     Er konnte sie kaum erkennen. Sie hatten beide graues Haar bekommen und alte, runzelige Gesichter. Er fragte, woher das komme,
     und sie antworteten, sie seien so alt geworden, weil sie sich nach ihm gesehnt hatten. Er wurde gerührt und verwundert zugleich,
     denn er hatte immer gedacht, sie würden froh sein, daß sie ihn los waren.
    Als der Junge erwachte, war der Morgen mit schönem, hellen Wetter angebrochen. Erst aß er selbst ein Stück Brot, das er in
     der Stube fand, dann gab er den Gänsen und der Kuh ihr Morgenfutter und öffnete die Stalltür, so daß die Kuh nach dem nächsten
     Gehöft hinübergehen konnte. Wenn sie allein gegangen kam, würden die Nachbarn schon verstehen, daß der alten Frau etwas zugestoßen
     sein müsse. Sie würden nachdem einsamen Gehöft eilen, um zu sehen, was die Alte machte, und wenn sie dann ihren entseelten Körper fanden, würden sie
     sie begraben.
    Kaum waren der Junge und die wilden Gänse in die Luft hinaufgekommen, als sie einen hohen Berg mit fast lotrechten Wänden
     und einem jäh abgeschnittenen Gipfel erblickten, und sie begriffen, daß dies der Taberg sein müsse. Und oben auf dem Taberge
     stand Akka mit Aksi und Kaksi, Kolme und Neljä, Biisi und Kuusi und allen sechs Gösseln und wartete auf sie. Das war eine
     Freude und ein Schnattern und ein Flügelschlagen und Schreien, wie es nicht zu beschreiben ist, als sie sahen, daß es dem
     Gänserich und Daunenfein gelungen war, Däumling zu finden.
    Ziemlich hoch auf den Taberg hinauf wuchs Wald, aber der oberste Gipfel war kahl, und von dort aus konnte man weit umher nach
     allen Seiten sehen. Sah man nach Osten, nach Süden oder Westen, so war da fast nichts weiter zu sehen, als ein armseliges
     Hochland mit dunklen Tannenwäldern, braunen Mooren, eisbedeckten Seen und blauenden Bergabhängen. Der Junge mußte zugeben,
     daß es nicht so aussah, als wenn derjenige, der dies erschaffen hatte, sich besondere Mühe bei seiner Arbeit gegeben hätte,
     er hatte es nur in aller Eile grob herausgehauen. Sah man dahingegen nach Norden, so war es eine ganz andere Sache. Hier sah
     das Land so aus, als sei es mit der größten Liebe geformt. Auf der einen Seite sah man lauter schöne Berge, sanfte Täler und
     silberblanke Flüsse, bis ganz hinab nach dem großen Wetternsee, der eisfrei undglänzend klar dalag und schimmerte, als sei er nicht mit Wasser, sondern mit blauem Licht angefüllt.
    Gerade der Wetternsee machte den Blick nach Norden so schön, weil er aussah, als sei ein blauer Schimmer von dem See aufgestiegen
     und habe sich über das Land verbreitet. Haine und

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