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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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sich nicht einmal auf ihr Bett hatte legen können.
    Er wurde so schrecklich bange, als es ihm klar geworden war, daß er sich mitten in der Nacht allein mit einer Leiche befand.
     Über Hals und Kopf stürzte er die Treppe hinab und wieder in den Kuhstall hinein.
    Als er der Kuh erzählte, was er in der Stube gesehen hatte, hielt sie mit dem Fressen inne. »Ja, dann ist meine Herrin tot,«
     sagte sie. »Dann ist es wohl auch mit mir bald vorbei.« – »Es wird sich wohl jemand finden, der sich deiner annimmt,« sagte
     der Junge tröstend. – »Ach, du weißt ja nicht,« sagte die Kuh, »daß ich schon doppelt so alt bin, wie eine Kuh zu sein pflegt,
     ehe sie auf die Schlachtbank kommt. Aber ich mache mir auch nichts mehr daraus zu leben, wenn die da drinnen nicht mehr kommen
     und für mich sorgen kann.«
    Dann schwieg sie eine Weile, aber der Junge konnte wohl merken, daß sie weder schlief noch aß. Es währte denn auch nicht lange,
     bis sie wieder zu sprechen begann: »Liegt sie an der Erde?« fragte sie. – »Ja, das tut sie,« antwortete der Junge. – »Sie
     hatte die Gewohnheit, hierher in den Kuhstall zu kommen und mit mir über alles zu reden, was sie bekümmerte. Ich verstand,
     was sie sagte, wenn ich ihr auch nicht antworten konnte. In den letzten Tagen ging sie umherund sprach davon, daß sie befürchte, es würde niemand bei ihr sein, wenn sie stürbe. Sie ängstigte sich, daß niemand ihr
     die Augen zudrücken und ihr die Hände kreuzweise über die Brust legen würde, wenn sie tot sei. Du würdest wohl nicht hineingehen
     und das tun?« Der Junge besann sich. Er erinnerte sich noch sehr wohl, wie sein Großvater gestorben war; da hatte seine Mutter
     ihn mit großer Sorgfalt zur Ruhe gebettet. Er wußte, daß dies etwas war, was geschehen mußte. Aber auf der andern Seite wußte
     er auch, daß er nicht den Mut hatte, in dieser schrecklichen Nacht zu der Toten hineinzugehen. Er sagte nicht nein, rührte
     sich aber auch nicht vom Fleck.
    Die alte Kuh schwieg eine Weile, als warte sie auf Antwort. Als der Knabe aber nichts sagte, wiederholte sie ihre Bitte nicht.
     Sie begann im Gegenteil, mit ihm von ihrer Herrin zu sprechen.
    Darüber war viel zu sagen. Zuerst erzählte sie ihm von allen den Kindern, die sie großgemacht hatte. Die kamen ja jeden Tag
     in den Stall, und im Sommer hüteten sie die Kühe auf dem Moor und auf den Wiesen, so daß die alte Kuh gut von ihnen Bescheid
     wußte. Es waren alles ausgezeichnete Kinder, fleißig und fröhlich. Eine Kuh wußte recht gut, wie ihre Hüter beschaffen sind.
    Und auch von dem Gehöft war viel zu erzählen. Das war nicht immer so verfallen gewesen wie jetzt. Es gehörte viel Land dazu,
     wenn auch der größte Teil sumpfig und steinig war. Kornfelder waren da nicht viele, dahingegen war da überall ausgezeichnetes
     Weideland,Es gab Zeiten, wo in jedem Stand im Kuhstall eine Kuh angekettet war, und wo der Ochsenstall, der jetzt ganz leer stand,
     voller Ochsen gewesen. Und damals herrschte Freude und Frohsinn in Stube und Stall. Wenn die Hausfrau die Stalltür öffnete,
     sang und trällerte sie, und alle Kühe brüllten vor Freude, wenn sie sie kommen hörten.
    Aber der Hausherr starb, als die Kinder noch so klein waren, daß, sie noch keinen Nutzen schaffen konnten, und die Hausfrau
     mußte alle Arbeit und Fürsorge übernehmen. Sie war stark wie ein Mann und sie pflügte und erntete. Am Abend, wenn sie in den
     Stall kam, um zu melken, war sie manchmal so müde, daß sie weinte. Aber wenn sie an ihre Kinder dachte, wurde sie wieder fröhlich.
     Dann trocknete sie die Tränen und sagte: »Es macht nichts, ich werde schon wieder gute Tage bekommen, wenn meine Kinder erst
     erwachsen sind. Ja, wenn die erst erwachsen sind!«
    Aber sobald die Kinder erwachsen waren, befiel diese eine wunderliche Sehnsucht. Sie hatten keine Ruhe mehr daheim, sie reisten
     nach fremden Ländern. Ihre Mutter bekam niemals Hilfe von ihnen. Ein paar von den Kindern waren schon verheiratet, als sie
     fortreisten, und sie ließen ihre kleinen Kinder in dem alten Heim zurück. Und nun liefen diese Kinder mit der Hausfrau in
     den Kuhstall, genau so, wie es ihre eigenen getan hatten. Sie hüteten die Kühe und es waren gute und tüchtige Kinder. Und
     am Abend, wenn die Großmutter so müde war, daß sie mitten beim Melken einschlief, konnte sie sich mit dem Gedanken an sie
     ermunternund neuen Mut schaffen: »Ich werde schon gute Tage bekommen,« sagte sie und

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